Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Neue Blütezeit des badischen Liberalismus. 329 
der Grund des allgemeinen Hasses tiefer: das Volk empfand dunkel, daß 
Blittersdorff in der Tat darauf ausging, die Landesverfassung, nötigen— 
falls mit Hilfe des Bundestages, umzugestalten. Wer die wüste Hetzerei 
dieser Wahlkämpfe nüchtern beobachtete, mußte schon ahnen, daß eine 
Revolution herannahte. 
Die Liberalen siegten vollständig, sie erlangten zum ersten Male seit 
langer Zeit wieder eine sichere Mehrheit in der zweiten Kammer, eine 
Mehrheit freilich, die mit den Gegnern auf Tod und Leben verfeindet war. 
Vater Itzstein machte seinem volkstümlichen Beinamen Ehre: er hatte 
trefflich verstanden, seiner Partei einen Nachwuchs heranzuziehen. Zu den 
alten Kämpen des Liberalismus gesellten sich jetzt der feurige, herrschsüchtige, 
von seinen Freunden Marat genannte Jurist Sander; dann der Mann— 
heimer Buchhändler Bassermann, ein warmherziger Vertreter des gebil— 
deten, besitzenden Bürgertums, der nur durch die rückhaltlose Offenheit 
seiner Reden in den Ruf radikaler Gesinnung kam; endlich, alle anderen 
überragend, Karl Mathy. Nach langen Jahren schließlich freigesprochen, 
hatte Mathy sein stilles Schulmeisteramt in der Schweiz verlassen und 
die alte Heimat wieder aufgesucht. In den Kreisen der Regierung galt 
er fast für den schlimmsten aller Demagogen; wenn er sich langsam erhob, 
mit seinen großen, ruhigen blauen Augen den Ministern gerade ins Ge— 
sicht sah und dann kalt in wohlerwogenen ironischen Sätzen ihnen seine 
Vorwürfe zuschleuderte, so verwundete er tiefer als Welckers pathetische 
Entrüstung. Und doch war er der einzige staatsmännische Kopf in den 
Reihen der Opposition; er besaß die Mäßigung, die der gründlichen Kennt- 
nis entspringt, er verschmähte die Phrase, sprach immer zur Sache, am 
liebsten über Finanzfragen und nur wenn ein Erfolg möglich schien. 
Dank dem wilden Ansturm Blittersdorffs erlebte der badische Libera- 
lismus jetzt nochmals eine Zeit der Blüte wie einst auf dem großen Land- 
tage von 1831. Was nützte es, daß die Minister beschlossen, den Verhand- 
lungen des neuen Landtags zunächst fern zu bleiben, damit die Opposition 
sich durch ihre Zornreden wider die leeren Regierungsbänke lächerlich machen 
sollte? Alle Welt sah darin nur ein Zeichen der Schwäche. Mathys 
vielgelesene Landtagszeitung verbreitete ausführliche, klug berechnete Mit- 
teilungen aus dem Ständesaale bis in die entlegensten Walddörfer. Weither, 
selbst aus Württemberg und der bayrischen Pfalz kamen die Neugierigen 
herbei; die Kammer ward zum Theater, und die Zuschauer spielten mit. 
Welch ein Fest, wenn der Präsident die überfüllten Galerien wegen grober 
Ruhestörung räumen ließ und bald nachher auf den Antrag eines libe- 
ralen Abgeordneten das souveräne Volk wieder eingelassen wurde, um den 
Lärm von neuem zu beginnen. Damen saßen auf den Stufen des Prä- 
sidentenstuhls, andere Gäste mitten im Saale, als Bassermann die ab- 
wesenden Minister, „die Beamten des Volks“ zur schuldigen Rechenschaft 
vorforderte, als ergrimmte Redner die schmutzige Wäsche des jüngsten Wahl-
	        
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