Senfft v. Pilsach und die Erweckten. 27
wußten alle Eingeweihten, daß der König auf das Urteil dieses Mannes,
soweit er überhaupt einer fremden Meinung zu folgen vermochte, sehr
großen Wert legte. Schon als Kronprinz hatte er sich des Freiherrn
angenommen, als dieser, unbekümmert um die Verbote der rationalisti—
schen Stettiner Regierung, seinen hinterpommerschen Bauern gottselige
Predigten hielt, und in hellem Zorne geschrieben: „das Betragen dieser
Regierung ist wirklich so ungeheuer dumm, daß es zum Erbarmen ist.“)
Senfft kannte die Eigenart Friedrich Wilhelms ganz genau, er wußte
seine vertraulichen Berichte und Gespräche stets der augenblicklichen Stim-
mung des Monarchen anzupassen; er scheute sich auch nicht, dem Könige,
oft sehr unverblümt, zu sagen, was man im Volke über ihn redete.
Also, bald aufrichtig, bald berechnend, gewann er mit seiner zähen stillen
Ausdauer doch einigen Boden, und immer kam sein Rat den Hochkon-
servativen zu gute. Durch seinen und Ludwig Gerlachs gemeinsamen
Schwager v. Thadden-Trieglaff unterhielt er regen Verkehr mit einem
Kreise altgläubiger hinterpommerscher Edelleute, der sich durch christlichen
Wandel und edle Wohltätigkeit ebenso sehr auszeichnete wie durch reak-
tionäre Gesinnung.
Auch was sonst noch dem Herzen des Königs nahe stand, trug hoch-
kirchliche Farbe: so der Geheime Rat v. Voß-Buch, seit Jahren vor-
tragender Rat des Kronprinzen und auch jetzt noch mit wichtigen Ar-
beiten, namentlich im Justizwesen, betraut, nebenbei berühmt durch seine
unvergleichlichen Junggesellen-Gastmähler; so Friedrich Wilhelms Jugend-
gespiele, der Kammergerichtspräsident v. Kleist, von den Demagogen der
blutige Kleist genannt, ein eiserner Ultra, der nachher den Abschied nahm,
als er die neue Verfassung beschwören sollte; so der Hallerianer C.
W. v. Lancizolle, vormals Lehrer des deutschen Staatsrechts für die
königlichen Prinzen; so der gelehrte Jurist Götze, der kindlich fromme
General Carl v. Röder u. a. m., die einst in den ersten Friedensjahren
den Konventikeln der Erweckten oder dem Meikäfervereine der jungen
Berliner Romantiker angehört hatten.““) Einen ehrbareren Hof hat es
nie gegeben; Geist, Wissen, Edelsinn war in diesen Kreisen reichlich vor-
handen, aber wenig Willenskraft, wenig Verständnis für die Bedürfnisse
der Zeit.
Wie ein Fremdling erschien in dieser christlichen Umgebung der regel-
mäßige Genosse der königlichen Abendzirkel Alexander v. Humboldt. Der
Geist zog den Geist an, der König und der große Gelehrte konnten von-
einander nicht lassen, und unwillkürlich gedachten die Zeitgenossen der
Freundschaft zwischen Friedrich und Voltaire — eine Vergleichung, die
doch nur wenig zutraf. Voltaire hatte auf das ästhetische Urteil des
*) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenstein, 2. Mai 1830.
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