Robert Blum. 343
liken mehrere deutsch-katholische Gemeinden entstanden, die sich bald durch
radikale Protestanten verstärkten und mit den freien Gemeinden der be-
nachbarten preußischen Provinz in Verbindung traten. In Dresden über-
nahm ein gewöhnlicher Schwätzer, der Stenograph Wigard, die Füh-
rung, in Leipzig aber Robert Blum, neben Friedrich List das größte
demagogische Talent dieser Tage.
In Köln geboren, kleiner Leute Kind, hatte Blum vor Jahren als
Chorknabe den Altardienst verrichtet und sich dann aus tiefer Armut tapfer
in die Höhe gearbeitet, auch eine leidliche Bildung erlangt, die doch
niemals weit über den Gesichtskreis des Kleinbürgertums hinausging,
also dem schlichten Volke immer verständlich blieb. Die natürliche Be-
redsamkeit der Rheinländer besaß er im höchsten Maße und dazu eine
dämonische Gabe, die Menschen zu beherrschen. Wenn der breitschulterige,
behagliche Bürger mit dem unschönen, aber klugen und gutmütigen Ge-
sicht und den strahlenden braunen Augen zu sprechen anhob, immer aus
tiefster Brust, meist hochpathetisch, zur rechten Zeit auch sentimental, dann
fühlten die Handwerker und die Ladengehilfen: das ist unser Mann. Jetzt
bekleidete er in Leipzig die bescheidene Stelle des Theaterkassierers und
war doch schon eine Macht. Auf den jährlich wiederkehrenden Schiller-
festen, die er eingerichtet hatte, feierte er den Dichter der Freiheit; mit
den Führern der süddeutschen Oppositionsparteien stand er in regem Ver-
kehr; die polnischen Flüchtlinge nahmen in seinem Hause Herberge, und
in stiller Nacht feilte er selbst an dem Schlüssel, der den Aufständischen
das Tor der Krakauer Zitadelle öffnen sollte. Bei allen Wahlen ent-
faltete er eine rastlose Tätigkeit, die er selbst ehrlich als Wühlerei be-
zeichnete. Auch mit gewandter Feder vertrat er die demokratischen Grund-
sätze in seinem Volkstaschenbuche „Vorwärts“ und in den Sachsischen
Vaterlandsblättern, einem sehr wirksamen Blättchen, das namentlich die
Abderitenstreiche der Kleinstaaterei köstlich verhöhnte. An Stoff konnte
es ja hier in der Mitte Deutschlands niemals fehlen. Da war in Alten-
burg der hochmütige, verschwenderische Hof, in Reuß jüngerer Linie der
halbtolle Fürst Heinrich LXXII. Die Erlasse dieses volksbeglückenden
Patriarchen brauchte man nur nachzudrucken, um den Radikalen ein Fest
zu bereiten. Seinen Garten in Osterstein öffnete er allen anständigen
Fremden, aber „mit der Dunkelheit hört der Besuch auf. Warum? Weil
dann die Begriffe Anständig und Unanständig sich verwirren.“ Und nach
einem Feuer in Lobenstein ließ sich der zweiundsiebzigste Heinrich also ver-
nehmen: „Mein Grundsatz ist: erst löschen und dann einpacken. Näm-
lich so: wenn ein kleines Feuer schnell gelöscht wird, so schlafen dann die
Leute ruhiger, als wenn durch Vernachlässigung desselben eine schlecht
gebaute Stadt vielleicht drauf geht.“
Also unermüdlich in der Verbreitung demokratischer Ideen, begrüßte
Blum es als einen willkommenen Zufall, daß er selbst katholisch getauft