Friedrich Wilhelm und die Lichtfreunde. 353
sich verändert, der feierliche Kirchenbann erschien jetzt in der leichtfertigen
Gestalt von Zeitungsartikeln. Gegenerklärungen blieben nicht aus, sie
trugen weit mehr Unterschriften, aber meist von Laien; auch manche er—
klärte Feinde des Christentums nahmen teil, um der Kirche doch einmal
einen Schlag zu versetzen.
Zu früheren Zeiten hatte Deutschlands evangelische Kirche unter der
milden Leitung ihrer Landesherren solche sektiererische Bewegungen fast
immer niederzuhalten vermocht. Es war ihr Ruhm, daß sie die not-
wendigen radikalen Elemente des Protestantismus nicht, wie Englands
pharisäische Staatskirche, als Dissenters ausgestoßen, sondern meist lang-
mütig ertragen und dadurch immer wieder besänftigt hatte. Jetzt am
wenigsten war die Zeit, mit solchen schönen Traditionen zu brechen. Der
Rationalismus hatte hundert Jahre lang die Kanzeln beherrscht, er besaß
unbestritten ein historisches Recht; nun da er alterte und vermorschte,
konnten seine an Geist und Glaubenskraft armen Epigonen der Kirche
nicht mehr gefährlich werden. Das deutsche Gewissen rang danach, die
neue wissenschaftliche Weltanschauung mit der ewigen Wahrheit des
Christentums zu versöhnen; selbst der fromme Twesten gestand traurig
seinem gleichgesinnten Freunde Perthes: wir Gläubigen haben eigentlich
mehr Sehnsucht nach Glauben als wirklichen Glauben. In solchen Tagen
des Zweifels und der Gärung, in diesem unverkennbar weltlichen Zeit-
alter mußte die Kirche sich vor jedem unbedachten Eingriff hüten, werdende
Gedanken und Parteibildungen in Freiheit ausreifen lassen.
Ganz anders empfand König Friedrich Wilhelm. Mit Unrecht warfen
ihm die Gegner vor, daß er sich betören ließe durch das Vorbild der
anglikanischen Kirche, deren Schwächen er sehr wohl erkannte. Aus seinen
eigensten Gemütserfahrungen, aus seinem ganzen Sein und Denken viel-
mehr ergab sich ihm die Überzeugung, daß die lebendige Kirche nur aus
Gläubigen bestehen dürfe — ein hohes Ideal, das sich freilich in der
Gebrechlichkeit dieser Welt noch nie und nirgends verwirklicht hatte. So-
lange die gegenwärtige Kirchenverfassung bestand, wollte er, wie sein ge-
treuer Thile sich ausdrückte, zwar nicht das centrum auctoritatis, wohl
aber das centrum unitatis für die evangelische Landeskirche bleiben; und
diese Pflicht des Kirchenhauptes — oft genug sprach er es gegen Eichhorn
aus — stand ihm unendlich höher als etwa die Sorge für die auswärtige
Politik seines Staates. Er meinte im Geiste evangelischer Freiheit zu
handeln und seinen irrenden Brüdern selbst einen christlichen Liebesdienst
zu erweisen, wenn er ihnen, um sie vor Heuchelei zu bewahren, die Pforte
der Kirche zum Austritt weit auftat. Ihn quälte dabei nur das eine
Bedenken, ob man nicht die Versuchung zum Abfall befördere, wenn man
das Ausscheiden allzu sehr erleichtere. Daher erklärte Eichhorn den
Magdeburger Lichtfreunden von vornherein: sie hätten nur die Wahl,
entweder auszutreten oder ihre kirchlichen Reformpläne aufzugeben. In
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 23