Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

358 V. 4. Die Parteiung in der Kirche. 
lichen Vorfall, der ihn in seinen heiligsten Gefühlen verletzte. Der junge 
Dr. Falkson in Königsberg, ein achtungswerter, gemäßigt liberaler Mann 
aus Jakobys Freundeskreise wollte ein Christenmädchen heiraten und 
doch Jude bleiben, obgleich er dem positiven Glauben seiner Stamm— 
genossen fern stand. Eine solche Ehe war verboten, durch eine ganz un— 
zweideutige, von allen Gerichten stets übereinstimmend ausgelegte Vor- 
schrift des Allgemeinen Landrechts (Tl. 2. Tit. 1. 8 36). Selbst Rupp, der 
Prediger der freien Gemeinde, verweigerte die Trauung; alle guten Pro- 
testanten nannten es eine Unverschämtheit, daß dieser Jude, aus rein per- 
sönlichen Gründen, sich den Segen der evangelischen Kirche zu erschleichen 
suchte. Da die Krone trotz wiederholter Eingaben das Recht nicht beugen 
wollte, so ließ sich Falkson in Hull durch einen anglikanischen Geistlichen 
trauen. Darin sah der König, mit gutem Grunde, „eine freche Verhöhnung 
der Landesgesetze“, und verfügte: „Die Ehe kann nur bestehen, wenn sie 
sich gerichtlich verpflichten, ihre Kinder christlich taufen und erziehen zu 
lassen; wollen sie das nicht, so muß man sie engagieren, dahin auszu- 
wandern, wo sie sich haben trauen lassen. Hier im Lande jedoch 
dürfen sie dann nicht vierundzwanzig Stunden zusammenbleiben, oder viel- 
mehr, ihre Progenitur muß im voraus als Bastarde erklärt werden.“ 
Bunsen erhielt darauf Befehl, in England nachzuforschen, auch vielleicht 
von dem Primas eine Nichtigkeitserklärung zu erlangen. Dort ließ sich 
nichts erreichen; denn die anglikanische Kirche fühlte sich von jeher dem 
Judentum näher verwandt als der deutsche Protestantismus. Nun endlich 
mußten die preußischen Gerichte einschreiten ), obwohl der König ihrem 
Liberalismus wenig traute. „Unsere Gerichte“, schrieb er an Bunsen, „sind 
in allen kirchlichen Dingen mehr wie schlecht, d. h. zugleich ignorant und 
entschlossen, alle Gesetzesstellen auf das möglichst Unkirchlichste zu inter- 
pretieren.“ Sein Mißtrauen rechtfertigte sich nicht. Falksons Ehe wurde, 
dem Gesetze gemäß, in zwei Instanzen für nichtig erklärt, und das ge- 
richtliche Verfahren erst eingestellt, als die Verfassung von 1848 den 
Rechtsboden verändert hatte. 
Mitten in seiner zornigen Aufregung fühlte der König doch, daß die 
bestehenden Gesetze der verwandelten Zeit nicht mehr genügten. Seinem 
Bunsen gestand er: „Ich gehe mit dem Projekte (aber nur in gremio) 
schwanger, dergleichen gemischte, säuische und apostatische Ehen nicht zu 
verbieten für die Zukunft... dagegen den Christen das Getrautwerden 
in der Synagoge, den Juden dasselbe in der Kirche streng zu verbieten; 
die Schließung solcher Ehen aber vor den Richter zu verweisen, wie das 
geschehen soll mit den Ehen aller derer, die aus der Landeskirche aus- 
treten. Ich bin überhaupt ein großer Freund, nicht der Zivilehe im fran- 
  
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 27. Aug. 1846, 10. Febr. 1847. Bunsens 
Berichte, 25. Jan. 1847 ff.
	        
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