Evangelische Konferenz in Berlin. 363
Rochow mit einem eigenhändigen Briefe eine Denkschrift, welche der preu—
ßischen Regierung vorschlug, ein neues Corpus Evangelicorum am Bundes-
tage zu bilden: die evangelischen Höfe sollten sich vereinbaren über eine
gemeinsame Kirchenpolitik, insbesondere über die Abwehr römischer Über-
griffe. In solcher Gestalt schien der württembergische Antrag unan-
nehmbar. Das Corpus Evangelicorum hatte den Protestanten einst als
Schutzwehr gegen die katholische Mehrheit der alten Reichstage gedient;
jetzt da nur noch sechs der regierenden Fürsten katholisch waren, drohte
ein solcher Bund im Bunde nur Unfrieden zu erregen; und wie konnten
die evangelischen Höfe unbedingt füreinander einstehen, da ihre Kirchen-
politik sich doch auf so verschiedenen Bahnen bewegte? Daher gab der
König durch das Auswärtige Amt eine vorsichtig ablehnende Antwort; zu
Verhandlungen über das evangelische Kirchenwesen erklärte er sich jedoch
bereit.*) So leicht ließ sich der besorgte Schwabenkönig nicht abweisen.
Er war über die Umtriebe der Ultramontanen gut unterrichtet; er wußte,
daß die Getreuen der Münchener Kongregation überall in der Welt, selbst
in Irland geschäftig arbeiteten; er mußte erleben, daß eine Verfügung
seines eigenen Konsistoriums, welche die evangelischen Geistlichen zur kirch-
lichen Treue, aber auch zur Sanftmut gegen die Andersgläubigen er-
mahnte, von den bayrischen klerikalen Blättern höhnisch angegriffen wurde.
Solchen Feinden gegenüber hielt er für nötig, daß die evangelischen Kronen
am Bundestage gemeinsam die bedrängte Lage der Protestanten in Öster-
reich und Bayern, die bedrohlichen Anmaßungen der römischen Kirche zur
Sprache brächten. In Berlin aber suchte man alles zu vermeiden, was den
Vatikan reizen konnte; einen Antrag beim Bunde wollte König Friedrich
Wilhelm höchstens als „.ultima ratio“ zulassen..“) Also nochmals abge-
wiesen, ermäßigte der König von Württemberg seine Wünsche und verlangte
nur noch, auf den Rat seines Oberhofpredigers Grüneisen, daß Preußen
die evangelischen Regierungen zu Beratungen über die Kirchenverfassung
einladen sollte. Diese Idee der „inneren Unierung" der deutschen Landes-
kirchen hatte Eichhorn schon im Anfang der langwierigen Verhandlungen
ausgesprochen; jetzt wurde sie von Ullmann auch vor der Lesewelt ver-
treten in dem Büchlein „für die Zukunft der evangelischen Kirche Deutsch-
lands“, das der König von Preußen mit großer Befriedigung las.)
So ward denn das alte, niemals ganz verschwundene Idealbild der
deutschen evangelischen Nationalkirche wieder lebendig, leider in Tagen, die
es unmöglich ausgestalten konnten. Auf Preußens Einladung versam-
melten sich nunmehr, um Neujahr 1846 die Abgesandten der sämtlichen
protestantischen Regierungen Deutschlands zu einer freien „Evangelischen
*) Berichte an den König, von Bülow, von Thile, 27. Mai 1843.
**) Rochows Berichte, Stuttgart, 14. Juni, 17. Nov. 1844.
5#½*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 20. Febr., 11. Nov. 1845. Vgl. den treff-
lichen Aufsatz von O. Mejer über Minister Eichhorn (Biographisches. S. 319 ff.).