Die Evangelische Generalsynode. 365
legten ihm auf, eine „aus freien Wahlen von unten“ hervorgehende Pres—
byterial- und Synodalverfassung zu fordern. Dem Könige schnitt es tief
ins Herz, daß gerade diese ehrwürdige Märtyrerstadt des Protestantismus,
die er sich als Sitz des Fürsten Primas dachte, so reich an „Heiden“ war;
er fand in dem Schreiben „modernes Mißverständnis oder wissentliche
Unwissenheit, ja Aufforderung zum Ungehorsam“ und drohte im ersten
Zorn, er würde sich „über das Gesetz stellen“, die städtischen Freiheiten
suspendieren müssen.“) Schwer ließ er sich besänftigen; doch bald wurde
die maßlose Tadelsucht der Opposition durch die Haltung der General—
synode selbst tief beschämt.
Eichhorn sagte in seiner würdevollen Eröffnungsrede: noch niemals
seit den Zeiten der Reformation habe Deutschland eine solche Versamm—
lung gesehen und noch niemals einen landesfürstlichen Schirmherrn, der
die freie Entwicklung der Kirche so vertrauensvoll ermuntert hätte. In
der Tat durften die deutschen Protestanten nach so vielen Erfolgen
des Papsttums jetzt wieder einmal aufatmen und sich der überlegenen
geistigen Kräfte dieser Kirchenversammlung erfreuen. Sie war die erste
gemeinsame Vertretung aller preußischen Provinzen, gleichsam das kirch—
liche Vorspiel des geplanten Vereinigten Landtags; und jener Zug vom
Westen her, der die ganze Zeit durchwehte, mußte gerade hier seine volle
Kraft zeigen, weil die rheinisch-westfälischen Protestanten in der Aus-
bildung ihrer Kirchenverfassung dem Osten unzweifelhaft vorausgeeilt
waren. Der alte Rationalismus war auf der Synode nur durch einen
Mann vertreten, den Kanzler des Königreichs Preußen v. Wegnern, der
mit bescheidenem Freimut sagte: von einem alten Ostpreußen könne man
doch keine andere Gesinnung erwarten. Auch die streng Konfessionellen ge-
boten nur über ein gutes Fünftel der Stimmen. Die große Mehrzahl ge-
hörte zu den verschiedenen Parteien der Vermittlungstheologie, die sich
allesamt auf Schleiermacher beriefen; darum wurde die Versammlung von
Haus aus durch die Lichtfreunde ebenso heftig angefeindet wie durch Heng-
stenbergs Kirchenzeitung, ein lutherischer Pastor des Wuppertals schimpfte
sie kurzab eine Räubersynode. Das hochverehrte Haupt der Mehrheit war
Nitzsch, der Wittenberger, der sich seit so vielen Jahren schon in die kirch-
liche Selbstverwaltung des Westens eingelebt hatte und wie niemand sonst
befähigt schien, die lutherischen Lande des Ostens mit den Grundgedanken
der calvinischen Kirchenverfassung zu befreunden. Seine tiefe Gelehr-
samkeit wurde ebenso allgemein anerkannt, wie sein frommer christlicher
Sinn, der die Einheit der Lehre stets in der Person des Erlösers suchte.
Der edle Mann erlebte jetzt die Tage seines höchsten Ruhmes, aber auch
*) Schreiben der Magdeburger Stadtverordneten und Kirchenvorsteher an Stadt-
rat Grubitz (mit Randbemerkungen des Königs), 16. Mai; König Friedrich Wilhelm an
Thile, 29. Mai; Thiles Bericht, 18. Juni 1846.