Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Die Evangelische Generalsynode. 365 
legten ihm auf, eine „aus freien Wahlen von unten“ hervorgehende Pres— 
byterial- und Synodalverfassung zu fordern. Dem Könige schnitt es tief 
ins Herz, daß gerade diese ehrwürdige Märtyrerstadt des Protestantismus, 
die er sich als Sitz des Fürsten Primas dachte, so reich an „Heiden“ war; 
er fand in dem Schreiben „modernes Mißverständnis oder wissentliche 
Unwissenheit, ja Aufforderung zum Ungehorsam“ und drohte im ersten 
Zorn, er würde sich „über das Gesetz stellen“, die städtischen Freiheiten 
suspendieren müssen.“) Schwer ließ er sich besänftigen; doch bald wurde 
die maßlose Tadelsucht der Opposition durch die Haltung der General— 
synode selbst tief beschämt. 
Eichhorn sagte in seiner würdevollen Eröffnungsrede: noch niemals 
seit den Zeiten der Reformation habe Deutschland eine solche Versamm— 
lung gesehen und noch niemals einen landesfürstlichen Schirmherrn, der 
die freie Entwicklung der Kirche so vertrauensvoll ermuntert hätte. In 
der Tat durften die deutschen Protestanten nach so vielen Erfolgen 
des Papsttums jetzt wieder einmal aufatmen und sich der überlegenen 
geistigen Kräfte dieser Kirchenversammlung erfreuen. Sie war die erste 
gemeinsame Vertretung aller preußischen Provinzen, gleichsam das kirch— 
liche Vorspiel des geplanten Vereinigten Landtags; und jener Zug vom 
Westen her, der die ganze Zeit durchwehte, mußte gerade hier seine volle 
Kraft zeigen, weil die rheinisch-westfälischen Protestanten in der Aus- 
bildung ihrer Kirchenverfassung dem Osten unzweifelhaft vorausgeeilt 
waren. Der alte Rationalismus war auf der Synode nur durch einen 
Mann vertreten, den Kanzler des Königreichs Preußen v. Wegnern, der 
mit bescheidenem Freimut sagte: von einem alten Ostpreußen könne man 
doch keine andere Gesinnung erwarten. Auch die streng Konfessionellen ge- 
boten nur über ein gutes Fünftel der Stimmen. Die große Mehrzahl ge- 
hörte zu den verschiedenen Parteien der Vermittlungstheologie, die sich 
allesamt auf Schleiermacher beriefen; darum wurde die Versammlung von 
Haus aus durch die Lichtfreunde ebenso heftig angefeindet wie durch Heng- 
stenbergs Kirchenzeitung, ein lutherischer Pastor des Wuppertals schimpfte 
sie kurzab eine Räubersynode. Das hochverehrte Haupt der Mehrheit war 
Nitzsch, der Wittenberger, der sich seit so vielen Jahren schon in die kirch- 
liche Selbstverwaltung des Westens eingelebt hatte und wie niemand sonst 
befähigt schien, die lutherischen Lande des Ostens mit den Grundgedanken 
der calvinischen Kirchenverfassung zu befreunden. Seine tiefe Gelehr- 
samkeit wurde ebenso allgemein anerkannt, wie sein frommer christlicher 
Sinn, der die Einheit der Lehre stets in der Person des Erlösers suchte. 
Der edle Mann erlebte jetzt die Tage seines höchsten Ruhmes, aber auch 
  
*) Schreiben der Magdeburger Stadtverordneten und Kirchenvorsteher an Stadt- 
rat Grubitz (mit Randbemerkungen des Königs), 16. Mai; König Friedrich Wilhelm an 
Thile, 29. Mai; Thiles Bericht, 18. Juni 1846.
	        
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