Freiligrath. Lenau. 377
auch den rohen Cynismus nicht verschmähte, trat er für diese Ideale ein;
in seinem wuchtigen „trotz alledem und alledem“ hallten die Schlachtrufe
Ulrichs von Hutten: Perrumpendum tandeml lacta est alea! ganz anders
nach als in Herweghs zierlicheren Versen. Wenn er sich in seine radikalen
Träume verlor, dann spielte seine erhitzte Phantasie selbst mit dem
Bilde des Königsmords; er schilderte den „Proletarier-Maschinisten“,
der den König von Preußen rheinauf zum Stolzenfels fährt und sich
schon überlegt, ob er nicht das Dampfschiff mitsamt seiner erlauchten
Last in die Luft sprengen solle: „der Dampf rumort, er aber sagt:
heut, zornig Element, noch nicht!“ Dabei blieb er doch allezeit ein freund-
licher frohmutiger Gesell und dichtete mitten unter den revolutionären
Drohungen auch unschuldige Lieder vom Rhein und Wein und das
tief empfundene „O lieb', solang du lieben kannst“, so daß er niemals
bloß für einen Tendenzdichter gelten konnte. Sein gutes Herz be-
wahrte ihn auch, trotz so manchem politischen Torenstreiche, vor der Ver-
zweiflung am Vaterlande. „Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume
wird einst vor allen dieses Deutschland sein“, so sprach er ahnungsvoll,
da er die Blüten am Baume der Menschheit betrachtete; und wenn
er sein Deutschland einen Hamlet nannte — eine Vergleichung, die nun—
mehr in Vers und Prosa unendlich oft wiederholt wurde — so fügte er
doch bescheiden hinzu:
Bin ich ja selbst ein Stück von dir,
Du ew'ger Zauderer und Säumer!
So konnte er leben mit den Lebendigen, und als nach Jahren alle seine
republikanischen Ideale zertrümmert am Boden lagen, der Traum seiner
Jugend durch monarchische Gewalten in Erfüllung ging, da jubelte er dank—
bar, ohne Kleinsinn, der neuen Größe Deutschlands zu, und sein heller
Dichtergruß antwortete der Trompete von Gravelotte.
Nicht eigentlich durch die politische Leidenschaft, sondern durch die
Sehnsucht nach geistiger Freiheit wurde auch der Deutsch-Ungar Nikolaus
Lenau in das Heerlager der lyrischen Streiter geführt. Dem edlen, wahr-
haftigen, liebevollen Träumer hing die Schwermut nachtend über der
krausen Stirn und den feurig dunklen Augen; er versenkte sich in die
Schauer der „ernsten, milden, träumerischen, unergründlich süßen Nacht“,
er hörte das Schiff am See gespenstisch flüstern, er brütete finster über
der Nichtigkeit des Lebens, „wie man's verraucht, verschläft, vergeigt und
es dreimal verachtet“. Die Jugendgedichte, in denen er die öde schweigende
Heide, das unendliche Meer, das Leid der jungen Liebe, die süße Todes-
müdigkeit des Unglücks besang, waren zuweilen unklar und formlos,
aber immer belebt durch eine tief und wahr empfundene elegische Stim-
mung; sie klangen, als ob die Zigeuner seiner heimischen Pußten auf
ihren Geigen eine traurige Weise spielten. In jungen Jahren ging
er, die Freiheit suchend, nach Amerika, und als er dann schmerzlich ent-