398 V. 5. Realismus in Kunst und Wissenschaft.
verschwand, zuletzt in eine erhabene Gedankenkunst, die, überreich an
poetischer Erfindung, doch nur ihm selber angehörte. Ganz aus seinem per—
sönlichen Gefühle heraus schuf er ein Epos mit eingeflochtenen Chorge—
sängen, das über die Grenzen aller überlieferten Kunstgattungen verwegen
hinwegschritt. Seine warmen Bewunderer Rauch und Rietschel verlangten
beide, er sollte die schönen Gruppenbilder von den Seligsprechungen nicht in
Farben ausführen lassen, sondern als Reliefs in weißem Marmor; und
die beiden großen Bildhauer wußten doch genau, daß gerade das Relief
der strengsten plastischen Formen bedarf und allen malerischen Reiz ver-
schmähen muß. So stand Cornelius bald einsam in der verwandelten Welt;
das Publikum, „das mit gleichem Appetit Häcksel und Ananas frißt“,
hatte er von jeher verachtet und zu einem der neuen Koloristen sagte er
kurzab: Sie haben vollkommen erreicht, was ich mich mein Lebenlang
sorgfältig zu vermeiden bemüht habe. Als der Freund zweier Könige war
er durch das Leben geschritten, und unbefangen, wahrlich nicht um zu
schmeicheln, setzte er die Bildnisse der preußischen Königsfamilie in sein
Gemälde von der Erwartung des jüngsten Gerichts; die Gesalbten des
Herrn sollten das Leben der Menschheit leiten, bis dereinst der letzte aller
Könige seine Krone in die Hände des Gekreuzigten niederlegte. Er wollte
es nicht anders wissen, und ganz unbegreiflich blieben ihm die Ideen der
Volksherrschaft, die jetzt über die Welt hereinbrachen.
Wie viel leichter verstand Kaulbach, sich in die neue Zeit zu finden,
der Vielgewandte, der kurz vor der Revolution nach Berlin berufen wurde,
um für das Treppenhaus des neuen Museums Kolossalbilder aus der
Geschichte der Menschheit zu malen. Seiner virtuosen Gewandtheit ge-
lang es, die schon erkaltende Teilnahme für das Kolossale noch einmal
zu beleben und ein volles Jahrzehnt hindurch blieb er, den Meister
ganz verdunkelnd, der Lieblingskünstler der Berliner. Der unbefangene
Tiefsinn der alten italienischen Historienmalerei, die den Geist der Ver-
gangenheit einfach in den großen Taten großer Menschen künstlerisch
auszugestalten suchte, erschien dem vielbelesenen Monarchen zu schlicht.
Nicht der Wille und die Tat, sondern die Idee war ihm der Inhalt
des historischen Lebens; er erging sich gern in geschichtsphilosophischen
Betrachtungen, die er, ohne es selbst zu ahnen, doch dem gescholtenen
Hegel verdankte, und in diesem Sinne. sollte auch Kaulbach den Ideenge-
halt der Geschichte durch große symbolische Bilder darstellen. Die beiden
ersten und schönsten dieser mächtigen Entwürfe, die Hunnenschlacht und
die Zerstörung Babylons, zeigten noch die geschlossene Einheit einer dra-
matischen Handlung, die späteren nur ein verwirrendes Durcheinander
geistreicher Einfälle, bei denen sich der grübelnde Verstand allerhand denken
mochte. Es war eine gelehrte Kunst, so alegandrinisch wie der unglück-
selige Bau des Neuen Museums selber, ganz begreiflich nur mit Hilfe
wissenschaftlicher Kommentare, und doch dem Durchschnittsmenschen ver-