Kaulbachs Wandgemälde. 399
ständlicher als Cornelius' Kartons; denn hier fühlte sich niemand bedrückt
durch die Übermacht religiöser Begeisterung, hier redete überall ein ganz
moderner, liberal aufgeklärter Geist, der, kühl bis ans Herz hinan, die
Gestalten des Altertums, des Mittelalters, der Renaissance mit der
gleichen Leichtigkeit aus dem Ärmel schüttelte und in den Bildern der
erlösten, aus Babels Zwingburg fröhlich ausziehenden Völker auch den
Freiheitsdrang der neuen Zeit unmittelbar zu befriedigen wußte.
Besonders glücklich gelangen ihm erhabene allegorische Einzelfiguren,
wie die Sage; die Gestalten der historischen Gruppenbilder dagegen wurden
allmählich, da sie ja allesamt kein persönliches Leben führten, sondern
nur Ideen darstellten, so schablonenhaft, daß man jedes Geschöpf der Kaul—
bachschen Muse an dem süßlich verzogenen Munde, der immer einem
liegenden Paragraphenzeichen glich, sofort erkennen konnte. Das alles
aber war flott, frisch, wirksam gemalt; die Fruchtbarkeit des Künstlers
schien unerschöpflich, die elegante gedämpfte Färbung der Wasserglas—
malerei behagte dem modernen Geschmacke mehr als die Strenge des Fresko.
Die Fülle der feinen Beziehungen und Anspielungen in diesen geschichts—
philosophischen Gemälden gab reichen Stoff für das überbildete Geschwätz,
das an der Spree geistreich hieß; der Berliner fühlte sich so grund—
gescheit, wenn er in der unmöglichen Gruppe der friedlich aus dem
brennenden Jerusalem hinwegflüchtenden Christen eine große Idee ent—
deckte oder in dem Shakespeare auf dem Bilde des Reformationszeitalters
das Gesicht eines bekannten Kunstkritikers wiedererkannte.
Mancher Zug in Kaulbachs Charakter erinnerte an Heine oder Vol—
taire. Den deutschen Dichter überragte er freilich weit durch seine mächtige
Gestaltungskraft; hinter dem Franzosen stand er zurück, weil er nicht wie
dieser die nationale Bildung eines reichen Jahrhunderts in sich ver—
körperte, sondern nur eine flüchtige Erscheinungsform unserer liberalen
Aufklärung. Der Schelm aber saß ihm stets im Nacken, er blieb immer
der Künstler des Reineke Fuchs, der lebenskluge Menschenkenner und Men—
schenverächter. Auch in diesen Jahren, da alle Welt seine idealen Ge—
schichtsbilder anstaunte, bekundete sich sein Talent immer am stärksten und
eigentümlichsten, wenn er in kleinen übermütigen humoristischen Zeich—
nungen, die sich oft kaum vor das Vaterauge der Sittenpolizei hinauswagen
durften, die Sinnlichkeit und die Narrheit der Welt verhöhnte. Leider hielt
sich dieser satirische Drang nicht immer in seinen natürlichen Schranken. Als
König Ludwig ihm die Außenwände der Neuen Pinakothek zur Bemalung
übergab, da konnte Kaulbach der Versuchung nicht widerstehen, die gesamte
neue Münchener Kunst, die doch seine eigene Mutter war, grausam zu
verspotten, und beleidigte das künstlerische, wie das sittliche Feingefühl
durch die widerliche Geschmacklosigkeit kolossaler Karikaturen.
Mit wachsendem Widerwillen verfolgte Cornelius das ganze moderne
Schaffen dieses abtrünnigen Schülers, und tief mußte es ihn wurmen,