Die Verfassungsfrage. 33
bloß Fürst Metternich und Zar Nikolaus lauschten besorgt auf jede Nach—
richt aus Berlin. Auch König Wilhelm von Württemberg beteuerte dem
Gesandten Rochow beständig: er sei jetzt über das konstitutionelle Wesen
ins klare gekommen und halte die preußischen Provinzialstände für die
beste Form der Interessenvertretung.“) Die kleinen deutschen Fürsten dachten
nur mit Zittern und Zagen an die Möglichkeit einer preußischen Verfassung.
Bei dem bisherigen Zustande befanden sie sich allesamt recht behaglich, weil
sie die Unzufriedenen daheim bald durch das abschreckende Beispiel des
preußischen Absolutismus beschwichtigen, bald mit dem Unwillen der beiden
Großmächte bedrohen konnten; was ward aus ihrer Souveränität, wenn
ein preußischer Reichstag die Verfassungsherrlichkeit der Kleinen sofort in
den Schatten stellte, wenn dies durch den Zollverein schon so mächtig
erstarkte Preußen auch noch die Bühne des deutschen parlamentarischen
Lebens wurde und den Deutschen täglich zeigte, welch ein Stolz es ist,
einem mächtigen Staate anzugehören?
Für diese einigende Kraft der Reichsstände besaß aber Friedrich Wil-
helm gar kein Verständnis, weil ihm die Energie des preußischen Staats-
gedankens fremd blieb. Er betrachtete die schöne Mannigfaltigkeit der
Provinzialstände als einen Triumph des historischen Prinzips und warf
noch in den dreißiger Jahren zuweilen die Frage auf, ob man nicht die
alten Stände der Fürstentümer Magdeburg, Münster, Paderborn als
Kommunallandtage wiederherstellen könne. Das stand ihm fest, daß die
Provinziallandtage der Schwerpunkt der ständischen Verfassung Preußens
bleiben sollten; nur in außerordentlichen Fällen dachte er sie allesamt
nach Berlin zu berufen und also, ohne neue Wahl, einen Vereinigten
Landtag zu bilden, der schon wegen seiner Schwerfälligkeit nur selten zu-
sammentreten konnte. Diese Gedanken entwickelte er bereits als Kron-
prinz vor Leopold Gerlach; an ihnen hielt er mit seiner stillen Hart-
näckigkeit fest, bis er sie nach Jahren endlich verwirklichte. Noch andere,
rein doktrinäre Bedenken gegen die alten Verheißungen konnte er nicht
überwinden. Eine schriftliche Verfassungsurkunde, wie sie der Vater ver-
sprochen, erinnerte den Sohn allzusehr an Rousseau und Rotteck-Welcker;
niemals wollte er die freie Macht seiner Krone durch einen papiernen
Vertrag beschränken. Ebenso anstößig schien ihm die Verheißung, daß die
Reichsstände für alle Staatsschulden die Bürgschaft übernehmen sollten; in
Kriegszeiten wollte er eine solche Beschränkung seiner monarchischen Ge-
walt nicht dulden. Es war eine Sorge, die nur den überfeinen Scharf-
sinn eines ganz unpraktischen Kopfes beunruhigen konnte. Denn für die
ersten Ausgaben eines plötzlich hereinbrechenden Krieges boten der längst
wieder gefüllte Staatsschatz, die reichlichen überschüsse der Verwaltung,
dazu noch die Bank und die Seehandlung vollauf genügende Mittel; und
*) Rochows Bericht, 29. Febr. 1840 ff.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 3