Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

408 V. 5. Realismus in Kunst und Wissenschaft. 
Abschluß. Also begann die Bildnerkunst auf die Höhe eines klassisch 
geschulten, dem Idealen nicht entfremdeten Realismus aufzusteigen; erst 
die Zukunft sollte erfahren, daß von diesem steilen Gipfel manche lockende 
Abwege niederwärts führten zur naturalistischen Roheit und malerischen 
Unruhe. 
An wahrhaft genialen Baumeistern besaß diese Zeit nur einen, Gott- 
fried Semper, und ihn versuchte König Friedrich Wilhelm seltsamer- 
weise niemals für sich zu gewinnen. Semper blieb in Dresden, und nach- 
dem der schöne Halbrundbau des Theaters mit dem reichen Bildnerschmucke 
Rietschels und Hähnels vollendet war, begann er den Bau des Neuen 
Museums, ein Werk, das alle architektonischen Unternehmungen des kunst- 
sinnigen Preußenkönigs leuchtend überstrahlte. Es war ein tollkühnes 
Unternehmen, die vierte, noch offene Seite des Zwingervierecks durch 
einen römischen Renaissancepalast auszufüllen; und doch fügte sich die 
reine, ruhige, an Bramante gemahnende Schönheit dieses Langbaues 
glücklich ein in die malerische Umgebung, sie hielt kräftig stand vor der 
überladenen Pracht der Rokoko-Pavillons gegenüber. Die heitere, warme 
Anmut der Innenräume stimmte jeden, der die schönste Galerie des 
Nordens betrat, sofort festlich und empfänglich. Auch dieser Bau und 
die verdiente Bewunderung, die er nach seiner späten Vollendung fand, 
bewiesen, wie unaufhaltsam dies erregte Geschlecht aus der klassischen Ein- 
fachheit der Schinkelschen Zeiten hinausstrebte. — 
  
Der frische politische Zug, der seit der Vertreibung der Göttinger 
Sieben die deutschen Hochschulen durchwehte, verstärkte sich noch von Jahr 
zu Jahr in diesem Zeitalter der ungeduldigen Erwartung; und es konnte 
nicht fehlen, daß die Gelehrten jetzt häufiger denn je zuvor mit den Waffen 
der Wissenschaft in den Kampf des Tages eintraten. Wie einst Fichte durch 
die Philosophie das Leben der Tat beherrschen wollte, ebenso, und mit 
demselben Pathos eines hohen sittlichen Berufes, faßte Dahlmann von 
jeher sein politisch-historisches Lehramt auf; er wollte aus den Tatsachen 
entwickeln, „wie man praktisch die Aufgaben der Staatskunst mehr oder 
minder glücklich gelöst“ habe, und also seinen Hörern den Weg zum eigenen 
Handeln weisen. Auf die Bitten seiner Freunde entschloß er sich jetzt, 
zwei seiner Kollegien, die Geschichte der englischen und der französischen 
Revolution in Buchform herauszugeben. In gedrungener Kürze, wie einst 
Micgnet, in einer markigen, das Gewissen erschütternden Sprache und mit 
erstaunlicher Kraft der Charakterzeichnung schilderte er hier die beiden 
großen Umwälzungen. Mignet freilich war so glücklich, die Geschichte seines 
Vaterlandes zu erzählen, und seine Schrift vermochte, auch nachdem sie 
wissenschaftlich überwunden war, als ein Erinnerungsbuch des nationalen
	        
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