Der Zollverein ohne Küste. 435
hallten jetzt wider vom Klange der Eisenhämmer. Mit vollem Recht
rühmten sich die Deutschen, daß ihre junge Zolleinheit ungleich mehr
bedeutete als die längst gesicherte der benachbarten Einheitsstaaten; denn
sie war errungen in schweren Kämpfen, sie mußte durch neue Kämpfe noch
gesichert und erweitert werden, sie sollte den Eckstein bilden für unsere
politische Einheit. Doch je klarer man endlich die vaterländische Bedeu-
tung des Werkes erkannte, um so lebhafter forderte der seit der jüngsten
Kriegsgefahr neuerstarkte Nationalstolz, der junge Handelsbund müsse sich
auch die Gleichberechtigung neben den fremden Mächten erzwingen.
Und wie unfertig und unförmlich erschien der Zollverein noch gegen-
über dem Auslande. In Wahrheit blieb er noch immer ein Binnenland.
Von seinen 1089 Grenzmeilen waren nur 129 Seegrenze; und diese pom-
merisch-preußischen Küsten bildeten bloß für einen Teil der östlichen Pro-
vinzen Preußens, nicht einmal für Berlin die natürliche Einfuhrstelle; sie
besaßen im Jahre 1843 insgesamt erst 790 Schiffe mit einer Tragfähigkeit
von 106.0000 Last, während der Zollverein im selben Jahre allein an Kolo-
nialwaren 132000 Last einführte. Die große Mehrzahl der Zollvereins-
schiffe eignete sich nur für die kurze Fahrt auf der Ostsee, die seit der
Entdeckung Amerikas mehr und mehr ein Binnensee geworden war. Zu-
dem wurde die lange Fahrt auch noch durch den Sundzoll erschwert, und
selbst das kräftig aufstrebende Stettin beschäftigte im außereuropäischen
Handel erst 24 Schiffe mit 3773 Last. So sah sich denn der mächtige
Handelsbund mit seinen 25 Mill. Einwohnern fast allein auf die Schiff-
fahrt des Auslandes angewiesen, vornehmlich auf das deutsche Ausland
an der Nordsee, das man mit zarter Höflichkeit als Vorland des Zoll-
vereins zu bezeichnen pflegte. Trotzdem wußten die europäischen Nach-
barn sehr wohl, was sie von dieser unfertigen Macht zu fürchten hatten.
Palmerston nahm, wie gewöhnlich, allen Engländern das Wort vom
Munde, als er im Parlament die freundnachbarliche Hoffnung aussprach:
der erste Festlandskrieg wird den Zollverein wieder auflösen. Der geist-
reiche französische Nationalökonom Richelot weissagte traurig, die Deut-
schen würden, wenn sie sich erst einigten, bald das erste Handelsvolk des
Festlands werden; und bei allen seinen handelspolitischen Verhandlungen
mit den Nachbarvölkern hatte Preußen eine feindselige Eifersucht zu be-
kämpfen, deren Stärke unsere tadelsüchtigen Zeitungsschreiber nicht ahnten.
In Amerika dagegen, in Rio wie in Neuyork, fragte man höhnisch: wo ist
euer Deutschland? wir wissen nur von einer preußischen, einer kniphau-
sener und noch sieben anderen Flaggen, die sich für deutsch ausgeben, aber
alle verschiedenen Gesetzen gehorchen; wir kennen weder eine deutsche
Flagge noch einen Konsul, der sie vertritt, noch ein Kriegsschiff, das sie ver-
teidigt, und wenn die sogenannten deutschen Schiffe löschen, so tragen
ihre Waren fast allesamt englische oder französische Etiketten.
Der treffende Spott verwundete tief; denn traten die Vorhäfen am
28“