Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

446 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft. 
vereins, die gleiche Verteilung der Einnahmen nach der Kopfzahl. Um 
dieses Grundsatzes willen hatte die preußische Regierung erst vor drei 
Jahren den unglücklichen Plan, für sich selber ein mäßiges Präzipuum zu 
beanspruchen, schleunig wieder aufgegeben. Wie durfte sie jetzt von ihren 
Zollverbündeten eine noch weit größere Vergünstigung für Hannover ver- 
langen, nachdem Braunschweig soeben, ohne ein Präzipuum zu fordern, 
eingetreten war? 
Den süddeutschen Höfen, die sich so eifrig bemühten, ihrer jungen 
Industrie verstärkten Zollschutz zu schaffen, mußten die hannoverschen 
Denkschriften wie Stimmen aus der verkehrten Welt klingen. Die Welfen- 
krone suchte den Nerv der Volkswirtschaft in der üppigen Konsumtion, 
sie rühmte stolz: der Anschluß des Steuervereins bringt dem Zollverein 
zwei Millionen so starker Konsumenten und so wenig bedeutender Fabri- 
kanten zu, wie sie bis jetzt im Zollvereine nicht vorhanden sind. Daß diese 
zwei Millionen durch den Zollverein erst freien Verkehr und die Möglich- 
keit einer eigenen Industrie erhalten sollten, kam daneben nicht in Be- 
tracht. Wohl mochte die Konsumtion von Kolonialwaren mindestens in 
den eigentlichen Küstenlanden Hannovers etwas höher stehen als in man- 
chen Teilen des Zollvereins; doch über die Geldfrage des Präzipuums 
ließ sich noch gar nicht verhandeln, solange die volkswirtschaftlichen An- 
sichten hüben und drüben so weit auseinander gingen. Zudem bewies 
die Welfenkrone überall ihren bösen Willen durch gehässige Anmaßung. 
Im Sommer 1843 überbrachte der hannoversche Finanzrat Witte Vor- 
schläge seines Hofes nach Berlin; er stellte dem preußischen Ministerium 
ohne weiteres die Wahl, anzunehmen oder abzulehnen, er behauptete 
ungescheut, der Zollverein wolle im Harz- und Weserkreise „ein Schmug- 
geldepot“ gegen Hannover einrichten und drohte mit empfindlichen Re- 
pressalien. Eine solche Sprache war in den stürmischen deutschen Zollver- 
handlungen doch nicht mehr gehört worden seit jenen fernen Tagen, da der 
Herzog von Köthen einst einen streitbaren Leutnant mit seinem Ultimatum 
nach Berlin geschickt hatte. Bülow erwiderte kurz, Wittes Zuschrift ge- 
statte ihm keine Antwort, und stellte dem Hannoveraner anheim, sofort 
abzureisen. 
Währenddem erhitzte sich auch der braunschweigische Hof mehr und 
mehr, der alte Haß der beiden Welfenlinien brach wieder durch. Der 
Landtag stand dem Herzog treu zur Seite; die Mehrzahl der Abgeordneten 
hatte doch endlich die nationale Bedeutung des Zollvereins begriffen, ihr 
wackerer Führer K. Steinacker sagte in seiner Streitschrift wider die Han- 
noveraner hoffnungsvoll: „Vaterland! der Namc war lange ein leeres 
Wort für uns. Jetzt aber wissen wir, daß wir ein Vaterland haben, 
ein Vaterland, welches im kräftigsten gesundesten Verjüngungsprozesse sich 
befindet.“ Wie würdig nahmen sich solche Worte aus neben den wüsten 
Schimpfreden des Gothaers Zimmermann, der einst schon den hannover-
	        
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