452 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft.
halten, nicht gestalten konnte. Wie er einst gegen das preußische Zoll-
gesetz getobt hatte, das doch seine eigenen Ideale verwirklichte, so schalt
er jetzt ungestüm auf die preußische Handelspolitik und untergrub das
Vertrauen zu der führenden Macht des Zollvereins, obgleich er die Not-
wendigkeit der preußischen Hegemonie wohl begriff. In seinem blinden
Zorne bemerkte der edle Enthusiast nicht mehr, welche dämonischen Kräfte
der Zwietracht und des Bruderhasses er entfesselte. Abel und die ganze
Heerschar der bayrischen Ultramontanen stimmten ihm schadenfroh zu,
und bald ließ sich auch schon der Ruf hören: statt des unfähigen Preußens
müsse Österreich die Führung des Zollvereins übernehmen — eine For-
derung, die von List selbst allerdings nie gebilligt wurde.
Mißtrauen zwischen Nord und Süd war unter allen Gefahren, welche
den Zollverein bedrohen konnten, die schwerste; denn das vertrauensvolle
Einverständnis von Preußen-Hessen und Bayern-Württemberg hatte ihn
einst begründet; zerriß dies Band, so ging der erste Anfang praktischer
deutscher Einheit verloren. Es war die tragische Schuld in Lists stür-
mischem Leben, daß dieser begeisterte Patriot, der das ganze Vaterland
mit glühender Liebe umfaßte, doch die Kluft zwischen dem Süden und
dem Norden gewaltsam erweiterte. Er betrieb die schutzzöllnerische Agi-
tation, die ja ihre guten Gründe hatte, mit einer solchen Erbitterung,
daß der im Süden schon halb verblaßte Preußenhaß mächtig wieder auf-
brauste. Der Same des Unfriedens, der damals ausgestreut wurde, trug
noch nach vielen Jahren arge Früchte; noch bis zum Jahre 1866 ließen
sich in der süddeutschen Presse, zumal in den Blättern des Hauses Cotta
die Nachklänge dieses rohen Schutzzöllnerhasses vernehmen. Nachdem
Preußen nachweislich so große finanzielle Opfer für den Zollverein ge-
bracht hatte, verbreitete man im Süden ein Witzbild, das die Dinge
geradezu auf den Kopf stellte: die Kuh des Zollvereins wurde von dem
geduldigen süddeutschen Michel festgehalten und von Preußen gemolken.
List selbst scheute sich nicht, der preußischen Regierung vorzuwerfen, daß
sie den Zollverein zu ihrem Vorteil ausbeute. Er erging sich — und
mehr noch sein Anhang — in wüsten, demagogischen Anklagen. Er jam-
merte, das wehrlose Deutschland würde von der Handelspolitik des Aus-
lands ausgeplündert, und vergaß undankbar, daß der Zollverein die wirt-
schaftliche Fremdherrschaft im wesentlichen doch schon gebrochen hatte,
und jetzt nur noch in Frage stand, ob nicht einzelne Gewerbszweige eines
stärkeren Schutzes bedürften.
Diese trockene Geschäftsfrage, wie viel Zoll eine Ware zu ertragen
vermöge, wurde mit einer Wut behandelt, als ob nur Landesverräter
anderer Meinung sein könnten. Geborene Kämpfer lieben, sich ihre Feinde
als Zerrgestalten vor die Augen zu halten. Wie Luther aus dem Coch-
läus einen Rotzlöffel, aus dem Herzog von Braunschweig einen Hans
Worscht machte, um dann diese Fratzen nach Herzenslust zu zerzausen, so