Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Die süddeutschen Schutzzöllner. 453 
bekämpfte List in seinem „Nationalen Systeme“ neben der „Rechtspest“ der 
Pandekten ein mythologisches Ungeheuer, das er „die Schule“ nannte und 
jeder erdenklichen Sünde zieh. Neuerdings war sein Popanz die preußische 
„Bureaukratie“, dieser halborientalische Auswuchs, dies schlingpflanzen— 
artige „Unkraut“ des deutschen Staates; statt der Aktenweisheit des grünen 
Tisches sollte fortan die lebendige Erfahrung der Gewerbsleute den deut— 
schen Zollbund beherrschen. Gewiß bedurfte die einseitig bureaukratische 
Leitung des Zollvereins dringend der Ergänzung durch populare Kräfte; 
so einfach, wie List meinte, lagen die Dinge dennoch nicht. Wer hatte einst 
den Zollverein gegründet? Das deutsche Beamtentum im Kampfe mit 
der Torheit der Kaufleute und Fabrikanten. Und wer hinderte jetzt, daß 
er sich bis zu seinen natürlichen Grenzen ausbreitete? Nicht das Beamten- 
tum, sondern die geschäftskundigen Kaufleute der Hansestädte. 
List verschmähte, was doch die nächste Aufgabe jeder fruchtbaren 
Publizistik ist, sich hineinzudenken in die Lage des von ihm so grausam 
gescholtenen Staates. Die preußische Regierung sollte einen Verein leiten, 
der — was Süddeutschland selbst einst dringend verlangt hatte — seinen 
Tarif nur durch einstimmige Beschlüsse verändern durfte; sie konnte sich 
mithin keiner der wirtschaftlichen Parteien, die einander bekämpften, 
willenlos unterwerfen, sondern mußte zwischen ihnen zu vermitteln suchen, 
damit das Ganze nicht auseinander fiel. Da List sich um die preußischen 
Zustände leider nie recht bekümmert hatte, so kannte er auch die entschei- 
denden Männer nicht und wiederholte zuversichtlich, allein die Rücksicht 
auf England bestimme Preußens Handelspolitik. Der Vorwurf lag nahe; 
man wußte ja, wie schwärmerisch der neue Hof alles englische Wesen be- 
wunderte. Dennoch entbehrte der Verdacht jedes Grundes; denn die drei 
eifrigsten Anglomanen in den preußischen Regierungskreisen waren der 
König selbst, Bülow und Bunsen, und gerade diese drei hegten lebhafte 
Vorliebe für die Gedanken der Schutzzöllner. Kühne hingegen, Beuth 
und die anderen bureaukratischen Gegner der Zollerhöhung waren stramme 
Preußen, ganz frei von englischen Neigungen; wenn sie die Pläne Lists 
bekämpften, so geschah es nur, weil sie tief überzeugt an den Ideen der 
Hardenbergischen Zeiten festhielten und nicht einsehen konnten, daß ihr 
durch ein Vierteljahrhundert erprobtes Zollgesetz jetzt doch an vielen 
Stellen schadhaft wurde. 
Wer sollte es nicht menschlich finden, daß die unbändigen Schmähungen 
der süddeutschen Schutzzöllner auch auf der anderen Seite höchst unge- 
rechten Verdacht hervorriefen? Man konnte in Berlin nicht begreifen, 
warum der feurige Liberale List jetzt mit den Spießgesellen Metternichs 
und Abels zusammen ging; die preußischen Gesandten an den süddeut- 
schen Höfen glaubten allesamt, der makellos rechtschaffene Mann lasse 
sich von Österreich und Bayern bezahlen. Sogar der feine, geistreiche 
Canitz schrieb: „Verkaufen wird er seine Überzeugung wohl nicht, aber
	        
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