42 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
träge des preußischen Landtags im Staatsministerium verteidigen konnte;
in den letzten Jahren glaubte er mit Schön ganz eines Sinnes zu sein,
da sie beide, freilich aus sehr verschiedenen Gründen, die Kirchenpolitik
der Krone entschieden mißbilligten. Er freute sich an den immer beleben—
den Gesprächen des geistreichen, vielerfahrenen Staatsmannes und entwarf
sich von ihm nach seiner Künstlerweise ein ideales Bild, ohne zu bemerken,
wie dicht Freimut und Verschlagenheit, dynastische Treue und parteiische
Willkür, Vaterlandsliebe und Eitelkeit in diesem seltsamen Geiste bei—
einander lagen. Schöns Reformpläne gingen so weit nicht, wie die liberale
Presse der kleinen Nachbarstaaten wähnte, die ihn jetzt beharrlich als
Volksmann und antiken Charakter verherrlichte; ein preußischer Reichstag
von etwa hundert Köpfen schien ihm genügend, bei der großen politischen
Unerfahrenheit des Volks. Nur eine rasche Entscheidung hielt er mit Recht
für notwendig. Zauderte die Krone, dann mußte sie durch den preußischen
Landtag ehrerbietig an die alten Verheißungen erinnert werden. Von
seinem geliebten Königsberg war einst die Befreiung des Landvolks und
die Erhebung gegen Napoleon ausgegangen; warum sollte sich nicht noch-
mals aus diesem eigentlichen Königreiche Preußen ein Strom des Lichtes
über Seiner Majestät übrige Länder ergießen?
Am 29. August hielt das Königspaar seinen Einzug in der alten
Krönungsstadt. Die Schlächter ritten voran, nach dem Vorrechte, das sie
sich hier, wie in Berlin, vor alters durch rühmliche Kriegstaten erkämpft
hatten. Die anderen Innungen bildeten Spalier in den reichverzierten
hochgiebligen Gassen, die Schiffe auf dem Pregel prangten im Flaggen-
schmuck. Der König kam zu Roß neben dem Wagen seiner Gemahlin
daher und beantwortete die Anrede des Bürgermeisters mit wohlgewählten
herzlichen Worten. Stürmisch, endlos erklangen die Jubelrufe aus den
Massen; die Kinder ließen sich nicht halten und drängten sich an den
Herrscher heran, der gütig lächelnd die kleinen Krausköpfe streichelte; es
schien, als könnte nie mehr ein Mißklang das patriarchalische Verhältnis
zwischen Fürst und Volk stören. Die nächsten Tage verbrachte der König
bei den Übungen der Truppen, auf Ausflügen in das schöne Samland
und bei mannigfachen Festlichkeiten. Mittlerweile versammelten sich am
5. Septbr. die preußischen Landstände. Sie waren durch eine Kabinetts-
ordre v. 15. Juli einberufen und beauftragt, vor der Huldigung die bei-
den Fragen zu beantworten: ob eine Bestätigung ständischer Privilegien
zu beantragen und ob eine besondere Vertretung des Herrenstandes bei
der Huldigung zu erwählen sei? Die erste dieser Fragen mußte, obwohl
sie sich nur an althergebrachte Formeln anschloß, unter den gegenwärtigen
Umständen den Eindruck machen, als wollte der König selbst die Stände
zu einer Außerung über die Verfassungsfrage auffordern; Friedrich Wil-
helm bemerkte die Gefahr nicht, weil er damals noch beabsichtigte, den
Ständen selber die Berufung eines allgemeinen Landtags, nach den Plä-