Deutsche Kommunisten in der Schweiz. 513
In so bedrohlichen wirtschaftlichen Verhältnissen gediehen die Lehren
der sozialen Zerstörung wie die Würmer im Aase. Die kommunistische
Partei, die im Auslande ihren Herd, in Deutschland schon überall ihre
geheimen Sendboten besaß, bekannte sich jetzt offen zu kosmopolitischen
Plänen, sie verlangte den sozialen Umsturz überall in der Welt, wie ja
auch die großen Geldmächte schon von Land zu Land ihre Fäden spannen.
Die goldene und die rote Internationale, wie eine spätere Zeit sie
nannte, begannen sich zu organisieren. Die Kommunisten sagten sich förm-
lich los von dem politischen Radikalismus, aus dem sie einst selber hervor-
gegangen waren; sie verhöhnten „den Samen Hambachs“, sie belachten
„das konstitutionelle Eldorado“ und die deutsche Einheit, sie warfen selbst
den cynischen Demagogen Fein, der soeben Schöns Woher und Wo-
hin? herausgegeben hatte, geringschätzig zu den „liberalen Amphibien“.
Unter den deutschen Handwerkern in der Schweiz führte der Schneider
Weitling das große Wort, neben ihm ein sehr gewandter Agitator, der
schwäbische Gerber Schmidt. Beide standen in Verbindung mit dem Fran-
zosen Cabet, der das gelobte Land der Gütergemeinschaft, Ikarien mit-
samt seinem Limonadenmeere so gar rührsam geschildert hatte. Sie
gründeten überall radikale Arbeitervereine und berechneten schon hoff-
nungsvoll, daß fortan alljährlich 600 Handwerksburschen aus der Schweiz
heimkehren würden, um die Lehren des Kommunismus in Deutschland zu
verbreiten. Auch Bakunin tauchte in diesen Kreisen zuerst auf, ein vor-
nehmer Russe, der durch gewissenlose revolutionäre Tatkraft alle die
anderen Demagogen übertraf.
Weitling setzte seine schriftstellerische Tätigkeit fort und veröffentlichte
neben anderen Brandschriften das Evangelium des armen Sünders, ein
blasphemisches, an die Wiedertäufer erinnerndes Buch, das wieder ein-
mal zeigte, wie nahe sich in den kommunistischen Träumen der weltver-
achtende Idealismus und die gemeine Sinnlichkeit berühren. Da wurde
die Gütergemeinschaft der Apostel zur Rechtfertigung der sozialen Revo-
lution, ja sogar des gemeinen Diebstahls verwertet, Jesus galt für einen
fröhlichen Lebemann, und die göttliche Macht der Liebe, die der Sünderin
Magdalena verzieh, erschien als ein Freibrief für jegliche Unzucht. Das
fanatische Schneiderlein hoffte alles Ernstes auf die Zustimmung La-
mennais', der seit Jahren schon im Namen Gottes die bestehende Gesell-
schaft als ein Werk Satans bekämpfte, und sah sich schmerzlich enttäuscht,
als der katholische Sozialist entrüstet erwiderte, mit dieser fratzenhaften
Verzerrung der evangelischen Wahrheit wolle er nichts gemein haben.
Die Schweizer selbst wurden bald besorgt. Die Brandreden der Flücht-
linge wider die Fürsten hatten sie gern ertragen, doch der Kampf gegen
das Eigentum widerstrebte ihrem haushälterischen Ordnungssinne, ihre
Zeitungen schalten heftig auf „diese deutschen Lausbuben“, und im Jahre
1843 wurde Weitling aus der Eidgenossenschaft ausgewiesen. Im Auf-
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 33