Das Berliner Protokoll über Krakau. 547
Beschluß immer feierlich abgeleugnet haben?*) Auf Canitzs Antrag wurde
in das Protokoll der Art. 2 ausgenommen: „Diese Einverleibung wird
erst ausgeführt werden, nachdem alles, was damit zusammenhängt, geregelt
ist, hinsichtlich der Beziehungen der drei hohen vertragschließenden Parteien
unter sich und zu den anderen Mächten. Dies wird geschehen durch eine
Beratung der nach Wien berufenen Konferenz.“ General Berg erklärte
aber bestimmt und ohne Widerspruch: das solle keineswegs bedeuten, daß
„die anderen Mächte“ förmlich zustimmen müßten; vielmehr verwahrten
sich die drei Schutzmächte ausdrücklich ihr Recht, das Beschlossene unbe-
dingt auszuführen.“) So schien man einig, und frohen Muts sahen die
beiden Kaisermächte der Wiener Konferenz entgegen, die in kürzester Frist
zusammentreten sollte. Nesselrode dankte der preußischen Regierung leb-
haft, weil sie jede „peinliche Verhandlung“ vermieden hätte. Er schrieb so
ungemein herzlich, daß Canitz verwundert sagte: Die Russen scheinen ja
ganz überrascht, uns so nachgiebig gefunden zu haben.)
Allerdings hatte der Zar guten Grund zu freudiger Überraschung.
Der Aprilvertrag, den der königliche Gönner des Polentums doch nur
widerstrebend genehmigt hatte, mußte nicht bloß die liberale öffentliche
Meinung gegen den Berliner Hof aufbringen, er bedrohte auch die
Volkswirtschaft Preußens mit schweren Verlusten. Die Krakauer. Re-
publik war auf Grund der Wiener Verträge ein Freihandelsgebiet, und
die Breslauer Kaufleute wußten diesen Vorteil gründlich auszunutzen.
Sie unterhielten in der Republik ihre Kommanditen und sendeten dahin
außer deutschen Erzeugnissen auch Massen von Kolonialwaren, die von
den Seeplätzen her, nur mit den leichten Durchfuhrzöllen des Zollvereins
beschwert, geradeswegs nach der Weichselstadt durchgingen. In Krakau selbst
verblieb nur ein kleiner Teil dieser Einfuhr; alles übrige wurde von den
Juden, welche den zuchtlosen Kleinstaat wie ein anderes Land Gosen ver-
ehrten, nach dem österreichischen und dem russischen Polen hinüberge-
schmuggelt. Das Geschäft blühte. Von 92000 Zentnern Durchfuhrgut,
welche im Jahre 1844 die schlesische Grenze überschritten, gingen fast
78000 über Neu-Berun nach Krakau, von der gesamten schlesischen Aus-
fuhr etwa die Hälfte; ein einziges großes Breslauer Haus berechnete
seinen jährlichen Umsatz in der Republik auf 0,9 Mill. Tlr. Der Zoll-
verein, der weder mit Rußland noch mit Österreich in Zoll-Kartell stand,
fand sich nicht bewogen, diesen Handel zu stören; er gewann ja nur an
den Durchfuhrzöllen, und daß die Waren aus den Krakauer Freilagern
wieder über die wohlbewachte deutsche Zollgrenze zurückgepascht wurden,
geschah doch ziemlich selten.
*) Canitz, Weisung an Rochow, 24. Jan. 1847.
*7y) Proces verbal zum Berliner Protokoll vom 15. April 1846.,
*““) Nesselrode, Weisung an Meyendorff, 20. April; Canitz, Weisung an Rochow,
3. Mai 1846.
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