Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

592 V. 8. Der Vereinigte Landtag. 
in die Armee hinüber; die Leutnants Anneke, Willich und einige andere 
junge Offiziere wurden entlassen, weil sie republikanische oder auch kom- 
munistische Lehren mit dreister Unbefangenheit verbreiteten. Sie fanden 
in der Presse begeisterte Fürsprecher, mehrere von ihnen tauchten nachher 
als Barrikadenkämpfer wieder auf. Bei diesen Untersuchungen zeigte sich 
Boyen stets unerbittlich, zum Erstaunen seiner liberalen Bewunderer; er 
wußte, was die Treue im Heere bedeutet. 
Seine zweite Amtsführung brachte der Armee — außer der neuen 
Uniformierung, die wesentlich des Königs eigenes Werk war — noch eine 
folgenreiche Reform: nach langjährigen Versuchen und Beratungen wurde 
(1847) beschlossen, das leichte Perkussionsgewehr, den Dreyseschen Zünd- 
nadel-Hinterlader nach und nach bei der gesamten Infanterie einzu- 
führen. Leicht war der Entschluß nicht. Zwar Boyen selbst, der alles 
in großem Stile trieb und die Gegenwart gern in ihrem historischen Zu- 
sammenhange auffaßte, erklärte zuversichtlich, diese Reform entspreche den 
alten Traditionen des preußischen Fußvolks, das ja immer, schon in den 
Tagen des Großen Kurfürsten und des alten Dessauers, durch rasches 
Feuern seine Überlegenheit gezeigt hatte; auch der leicht begeisterte König 
weissagte der neuen Waffe glänzende Erfolge für das Vaterland. Aber 
viele tüchtige Offiziere hegten ernste Bedenken; sie hielten für unzweifel- 
haft, daß eine mit so rasch feuernden Gewehren bewaffnete Truppe sich 
schon beim Beginn des Gefechts verschießen und bald wehrlos dastehen 
müsse, denn kein Führer sei im stande, die Mannschaft ganz in seiner 
Hand zu halten, ihre Blutleckerei oder auch ihre Furcht sicher zu bän- 
digen. Glücklicherweise wurde diese Meinung überall im Auslande ge- 
teilt. Niemand mochte dem preußischen Beispiele folgen, am wenigsten 
die kleinen deutschen Heere, denn die einen hemmte die Bequemlichkeit, 
die anderen das Mißtrauen gegen alles, was aus Preußen kam. So blieb 
dem preußischen Heere genügende Zeit, die neue Bewaffnung vollständig 
einzuführen und zugleich die Mannszucht des Fußvolks so streng und 
sicher durchzubilden, daß jeder Gemeine sein Gewehr mit ÜUberlegung hand- 
habte. Nach neunzehn Jahren sollte die Welt erfahren, welch ein Ver- 
mächtnis Boyen seinem Volke mit dieser Waffe hinterlassen hatte. 
Aus seiner altväterischen Höflichkeit klang noch der gefühlvolle Ton 
des Zeitalters der Befreiungskriege heraus. Überkluge Leute meinten 
wohl, der Alte hätte sich überlebt, und den raschen Wagemut seiner 
Jugend besaß er allerdings nicht mehr ganz, aber auf neue Ideen ging er 
noch immer freudig ein. Oberstleutnant Griesheim und andere Offiziere 
seines Ministeriums dienten ihm als einsichtige Gehilfen, und in den 
zahlreichen Kommissionsberatungen dieser Jahre erwarb er sich auch, trotz 
mancher Meinungsverschiedenheit, die Freundschaft und Bewunderung des 
Prinzen von Preußen. Unter des Prinzen entscheidender Mitwirkung 
ward ein vereinfachtes Exerzierreglement für die Infanterie vollendet;
	        
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