Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

636 V. 8. Der Vereinigte Landtag. 
Begehren. Die liberale Presse lärmte, sie forderte die Freiheit wie in 
Kurhessen, und schon ließ sich vorhersehen, daß die Gedanken des na— 
poleonischen Rechts über lang oder kurz den Sieg erringen würden. 
Auch die Polen verlangten von den Ständen „Erhaltung ihrer Na— 
tionalität und Sprache.“ Aber im Vereinigten Landtage zeigten dieselben 
Männer, die auf ihrem Provinziallandtage so oft zuchtlos getobt hatten, 
eine auffällige Bescheidenheit, Fürst Radziwill galt in der Herrenkurie so— 
gar für einen warmen Anhänger der Regierung. Die Mäßigung war schlau 
berechnet; denn der große Polenprozeß stand gerade vor der Tür, und die 
polnischen Abgeordneten fürchteten durch Kundgebung ihrer wahren Ge- 
sinnung das Schicksal ihrer angeklagten Landsleute zu erschweren. Die Li- 
beralen erwiesen den Polen, trotz der frechen Empörung des vergangenen 
Jahres, eine schwächliche, sentimentale Teilnahme. Vincke sprach wieder 
sehr schön und wieder sehr unklug, ohne jede Sachkenntnis; er empfahl 
Nachgiebigkeit, damit die Polen „sich ganz deutsch und preußisch fühlten“ — 
woran sie doch selber gar nicht dachten. Wie tief ward diese deutsche Fremd- 
brüderlichkeit beschämt, als der oberschlesische Pole Wodiczka jede Ge- 
sinnungsgemeinschaft mit den Posener Unzufriedenen feierlich zurückwies. 
Die Polen, rief er aus, sehen uns nicht als polnische Brüder an; und in 
der Tat waren die schlesischen Wasserpolaken von ihren sarmatischen Nach- 
barn durch die Verschiedenheit der Geschichte, der Sitten, des Dialekts 
scharf getrennt und der Krone Preußen dankbar ergeben. „Wir Oberschle- 
sier“, so schloß Wodiczka, „wollen nur als deutsche Brüder, als Preußen 
angesehen und behandelt werden.“ Der Landtag nahm die Petition der Po- 
sener an, obgleich er sich, nach dem Patente, mit Provinzialbeschwerden 
nicht befassen durfte. Der sechsjährige gemeinsame Kampf gegen die Regie- 
rung hatte die Provinziallandtage einander genähert, der Parteigeist über- 
wucherte den alten deutschen Markmannenstolz, die liberalen Polen zu be- 
günstigen galt jetzt selbst in Ostpreußen schon als eine liberale Ehrenpflicht. 
Der König aber, der seinen Polen auch nichts übel nahm, ließ die Bittsteller 
gnädig bedeuten, sie sollten ihren Antrag gehörigen Orts, bei ihrem Pro- 
vinziallandtage oder unmittelbar vor dem Throne einbringen, dann könnten 
sie wohlwollender Prüfung sicher sein. Nachher wurde die Mehrheit durch 
ihre Polenschwärmerei noch zu einem höchst unziemlichen Beschlusse ver- 
leitet: sie bat den König schon im voraus, gegen die gefangenen polnischen 
Verschwörer „nach Möglichkeit Gnade walten zu lassen“, obgleich doch erst 
der bevorstehende Polenprozeß erweisen konnte, wie schwer diese Rebellen 
sich gegen ihre milde Regierung vergangen hatten. Eine Besprechung ward 
absichtlich unterlassen, weil man die Gefühle der polnischen Abgeordneten, 
deren Freunde und Verwandte im Kerker saßen, zartsinnig schonen wollte. 
Wie hier, so wurden auch in vielen anderen Fällen die kleinlichen 
Vorschriften der Geschäftsordnung übertreten. Der König stand schon 
längst auf der schiefen Fläche, vor der ihn Metternich so oft gewarnt hatte.
	        
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