Mißstimmung im Lande. 645
grobe, durch den ukermärkischen Liberalen v. Holtzendorff veranlaßte Ein—
gabe märkischer Landleute, welche die Erfüllung der alten königlichen Ver—
heißungen ungestüm forderte. Besonders gefährlich erschien die Mißstim—
mung im Westen. Einer der rheinischen Landtagsabgeordneten, Sted—
mann ließ als Manuskript ein Büchlein über das Staatsrecht der rheini—
schen Herzogtümer drucken, das historisch nachweisen sollte, die Rhein—
länder hätten früherhin „niemals ein geringeres Maß von persönlicher
Freiheit und bürgerlicher Berechtigung genossen“ als unter der preußischen
Herrschaft. Die Undankbarkeit dieser Westländer, denen der alte König
das eiserne Joch Bonapartes vom Halse genommen hatte, wurde nach—
gerade schamlos. In Mainz entstand ein großer „Rheinischer Verein“, der
von Krefeld bis nach Karlsruhe hinauf seine Zweigverbände einrichtete
und die unbedingte Aufrechterhaltung des französischen Rechts erstrebte.
Ein „rheinischer Ausschuß zur Gründung der deutschen Republik“ ver—
breitete massenhaft einen Aufruf „zur Vorbereitung“. Das Machwerk
konnte, nach der Fülle der Schimpfwörter zu schließen, nur von Heinzen
herrühren und schloß mit der Anrede an die Rheinländer: „die Preußen
hinaus, oder nieder mit dem Berlinertum.“
Friedrich Wilhelm merkte von der dumpfen Luft im Lande sehr wenig.
Auf Augenblicke beunruhigten ihn wohl die einlaufenden Berichte über
demagogische Umtriebe, und zuweilen geschah es auch, daß lächerliche Klei—
nigkeiten sein Gemüt tief aufregten. Als der Fürstbischof Diepenbrock ihn
auf einen Königsmörder-Verein der Primaner des Neissischen Gymnasiums
aufmerksam gemacht hatte, da schrieb er zerknirscht: „Ich fühle mich schul—
dig, denn vor Gott bin ich für die Bevollmächtigten meiner Autorität
verantwortlich. Ich steh' dem Diepenbrock wie ein dummer Junge gegen—
über, der das nicht weiß, was er wissen soll, wenn er ein rechter König
ist. Gott besser's!“*) Allein solche Stimmungen verflogen schnell. Noch
immer glaubte er seiner Selbstherrlichkeit völlig sicher zu sein. Das zeigte
sich deutlich, als General Boyen gleich nach dem Schlusse des Landtags
seinen Abschied verlangte. Der alte Held erhielt als Feldmarschall das
Kommando des Invalidenhauses und lebte nur noch wenige Monate (bis zum
Febr. 1848); ein gütiges Geschick ersparte ihm die Niedertracht der Berliner
Revolution noch zu erleben. Das durch Boyens Rücktritt erledigte Prä-
sidium des Staatsministeriums konnte, nach der Meinung von Freund
und Feind, niemand sonst erhalten als Bodelschwingh; als Kabinetts-
minister und Minister des Innern zugleich besaß er ja schon die wichtigste
Stellung im Ministerrate, und vor den Landständen hatte er fast allein
tapfer den König vertreten. Aber für einen wirklichen Ministerpräsidenten
war unter diesem Regimente kein Raum; Bodelschwingh selbst hätte sich
solchen Ehrgeizes wohl kaum erdreistet. Savigny erhielt, nach dem Dienst-
*) König Friedrich Wilhelm an Thile und Bodelschwingh, 24. Jan. 1848.