58 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
Wort: zu meiner Zeit wird sich kein Fürst, kein Bauernknecht, kein Bauern-
knabe, kein Landtag und keine Judenschule etwas, was dermalen mit
Recht oder Unrecht bei der Krone ist, zueignen, wenn ich es nicht
zuvor gegeben habe.. Glanz und List überlasse ich ohne Neid so-
genannten konstitutionellen Fürsten, die durch ein Stück Papier dem Volke
gegenüber eine Fiktion, ein abstrakter Begriff geworden sind. Ein väter-
liches Regiment ist deutscher Fürsten Art, und weil die Herrschaft mein
väterliches Erbteil, mein Patrimonium ist, darum hab' ich ein Herz zu
meinem Volke, darum kann ich und will ich unmündige Kinder leiten,
entartete züchtigen, würdigen wohlgeratenen aber an der Verwaltung
meines Gutes teilgeben, ihnen ihr eigenes Patrimonium anweisen und
sie darin vor Diener-Anmaßung schützen.“ Endlich befahl er dem Freunde,
die Schrift nicht in den nächsten ostpreußischen Landtag hineinzuwerfen,
wo sie nur Unheil stiften könne; nachher möge sie immerhin erscheinen,
doch nur unter Schöns eigenem Namen.“)
Der Brief gereichte dem milden Herzen des Königs zur Ehre, nicht
seinem politischen Verstande; denn verwarf er die Gedanken der Schrift, so
durfte Schön nicht länger mehr an der Spitze einer Provinz bleiben, deren
Stimmung täglich schwieriger ward. Doch im Grunde der Seele wünschte
er ja selbst die von Schön verlangten Reichsstände, nur in anderer Weise,
und da er den teueren Freund nicht kränken wollte, so entschied er end-
lich, obgleich Schön zweimal seine Entlassung anbot, am 1. Jan. 1841,
daß der Oberpräsident als sein Freund und Bevollmächtigter das amt
des königlichen Kommissars bei dem nächsten Landtage übernehmen solle.
Also blieb Schön im Amte, und über ihm stand Rochow. Der konnte
sich das boshafte Vergnügen nicht versagen, dem Oberpräsidenten zu be-
deuten: eine gefährliche Schrift Woher und Wohin? sei im Umlaufe,
gegen den unbekannten Verfasser müsse man einschreiten, sobald man ihn
erkundet habe. In einem groben Antwortschreiben bekannte sich Schön
als Verfasser und beteuerte, die Schrift sei nicht für die Offentlichkeit
bestimmt. “) Wie sollten diese beiden Todfeinde einträchtig zusammen-
wirken? Die Verfassungsfrage erschien immer rätselhafter und verwor-
rener. Auf den ersten Weckruf des preußischen Landtags war jetzt schon
der zweite gefolgt, das Banner der Reichsstände flatterte in den Lüften,
und wenn die Krone sich nicht rechtzeitig entschloß, so konnte keine Macht
der Welt mehr hindern, daß eine in Preußen unerhörte Bewegung von
unten her anhob.
*) König Friedrich Wilhelm an Schön, 26. Dez. 1840. Aus diesem wichtigen Briefe
werden in Schöns Papieren (III. 154) nur einige einleitende Worte mitgeteilt. Die
Hauptsätze hat der Herausgeber unterdrückt. Sie stehen allerdings in gar zu grellem
Widerspruche mit der dreisten Behauptung Schöns (III. 153)" der König hätte sich
„im Geiste“ von Woher und Wohin? gegen Flottwell geäußert.
**) Rochow an Schön 19. Dez., Antwort 23. Dez. 1840.