Wechselrecht. Radowitzs Reformdenkschrift. 699
ihre nüchternen Geschäftsbedenken, einige auch ihre Furcht nicht überwinden
konnten, General Gerlach aber alle „Germanomanie“ bekämpfte. In einer
großen Denkschrift vom 20. Nov. stellte Radowitz die Gedanken seines
königlichen Herrn zusammen. Sie verurteilte in scharfen Worten das
bisherige Bundessystem. Da hieß es rundweg: „Auf die Frage: was
hat der Bund seit den 32 Jahren seines Bestehens, während eines beispiel-
losen Friedens getan für Deutschlands Kräftigung und Förderung? — ist
keine Antwort möglich. Die gewaltige Kraft der Gegenwart, die Natio-
nalität ist die gefährlichste Waffe in den Händen der Feinde der öffent-
lichen Ordnung geworden.“ Darum verlangte Preußen Kräftigung der
Bundesgewalt nach drei Seiten hin. Zum ersten Sicherung der Wehr-
haftigkeit des Bundes durch Inspektionen, gemeinsame Übungen, Verein-
barung über die Reglements, das Kaliber usw. — aber ohne Umsturz
der bestehenden Heeresverfassung. Zum zweiten gesicherten Rechtsschutz,
also ein Bundesgericht für staatsrechtliche Streitigkeiten, Einheit des
Strafrechts, des Handelsrechts, des Heimatsrechts mit voller Freizügigkeit.
Zum dritten Förderung der materiellen Interessen durch Einheit der
Münzen und Maße, durch eine Post= und Eisenbahn-Ordnung, durch
Bundeskonsulate, endlich durch „Ausdehnung des Zollvereins auf den
Bund“.
Hochsinnig, gedankenreich, formvollendet wie alles, was aus Rado-
witzs Feder floß, litt die Denkschrift doch an der traumhaften Unklarheit,
welche die ganze Nation, mit sehr vereinzelten Ausnahmen, noch befangen
hielt; sie lief doch hinaus auf die unmögliche Hoffnung, daß ein Bund
von souveränen Staaten, zu denen drei undeutsche Mächte gehörten, die
Macht einer nationalen Staatsgewalt ausüben sollte. Und konnte der
König, der bisher der Hofburg jede Einmischung in seine Zollpolitik stand-
haft verweigert hatte, jetzt im Ernst beabsichtigen, das größte Werk seines
Vaters zu zerstören und den Zollverein, wie Metternich längst wünschte,
dem Bundestage unterzuordnen? Und dies in einem Augenblicke, da die
Hofburg sich soeben anschickte, die alten Zollschranken zwischen Ungarn und
den deutsch-böhmischen Kronländern aufzuheben und mithin unzweideutig
bekundete, daß Osterreich selbst dem Zollvereine nicht beitreten wollte?
Friedrich Wilhelm ahnte auch dunkel, in welche Widersprüche er sich ver-
wickelte. Darum ließ er in der Radowitzschen Denkschrift aussprechen, daß
er zunächst eine Verständigung mit dem Wiener Hofe versuchen, und wenn
sie gelänge, die genauere Verabredung über die geplanten Reformen ent-
weder einem Fürstenkongresse oder dem Bundestage unter Österreichs Füh-
rung überlassen wollte. Käme er in Wien nicht zum Ziele, dann dachte er
sich, schweren Herzens freilich, allein an den Bundestag zu wenden. Miß-
länge auch dieser Versuch, dann sollte Preußen „den Geist der Nation“
anrufen, die öffentliche Meinung über seine nationalen Pläne aufklären
und mit den gleichgesinnten Bundesstaaten gemeinnützige Sonderverträge,