Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

728 V. 10. Vorboten der europäischen Revolution. 
zelnen Kantonen feindlichen Bünde ausdrücklich verbot, und noch mehr 
der durch so viele bürgerliche Kriege teuer errungenen kirchlichen Parität. 
Dieselben Kantone, welche einst den Kampf gegen Zwingli geführt und nach- 
her unter Osterreichs Schutze den Borromäischen Bund gestiftet hatten, 
bildeten den Kern des neuen Sonderbundes, und un ihrer Spitze standen 
die fanatischen Luzerner Klerikalen Siegwart Müller und Bernhard Meyer. 
Es zeigte sich wieder, daß die Schweiz in manchem Sinne das konservativste 
Land Europas ist; der Eidgenossenschaft drohte ein Religionskrieg, wie er 
bei anderen Völkern des Weltteils längst nicht mehr möglich war. Wider 
den Sonderbund bot nun die radikale Partei jedes Mittel auf; Bluntschli 
und seine Züricher Konservativ-Liberalen unterlagen, für Vermittler war 
kein Raum mehr, Ochsenbein und die radikalen Berner behaupteten die 
Führung, und nach einer Staatsumwälzung im Kanton St. Gallen ward 
endlich die knappe Mehrheit der Tagsatzung für die Gegner des Sonder- 
bundes gewonnen. Douze voix font loi, jubelten die Radikalen. 
Die zwölf Stimmen der Mehrheit waren entschlossen, die Jesuiten als 
Störer des konfessionellen Friedens aus der Eidgenossenschaft zu vertreiben, 
den Sonderbund aufzulösen, die Bundesgewalt zu verstärken. Zu so durch- 
greifenden Beschlüssen verlangte aber das Bundesrecht Einstimmigkeit oder 
Dreiviertelmehrheit der Tagsatzung; hier wie im Deutschen Bunde ward 
jede ernste gesetzliche Reform durch ein unvernünftiges Grundgesetz ver- 
hindert. Auf den Buchstaben des Bundesrechts konnte sich mithin keine 
der beiden Parteien berufen; die Radikalen kämpften jedoch, was sie auch 
durch Parteihaß gesündigt haben mochten, für den berechtigten, konservativen 
Gedanken der schweizerischen Bundeseinheit, die durch den Sonderbund 
unfehlbar zerstört werden mußte. Darum boten auch, als der Bürger- 
krieg nahte, der konservative General Dufour von Genf und die gleich- 
gesinnten Obersten Burckhardt, Ziegler, Donats der radikalen Zwölfer- 
mehrheit sofort ihre Dienste an; und zu den erklärten Radikalen, Ochsen- 
bein von Bern, Druey vom Waadtlande gesellten sich republikanische 
Staatsmänner von gemäßigter bürgerlich-demokratischer Gesinnung, wie 
Munzinger von Solothurn, Furrer von Zürich, Näff von St. Gallen, 
Kern und andere. Einheit oder Zerfall? — so stand die Frage. Der 
Ausgang des Krieges konnte kaum zweifelhaft sein, da die Kantone der 
Zwölfermehrheit den Sonderbund von allen Seiten her umklammert 
hielten, an Geldmitteln und Kopfzahl ihn fast um das Vierfache über- 
trafen; die Zeit war auch längst dahin, da die vier Waldstädte in den 
Scharen ihrer kampferfahrenen alten Reisläufer die beste kriegerische 
Kraft der Schweiz besessen hatten. 
Mit einer blinden Gehässigkeit, die an die Tage der Karlsbader 
Beschlüsse erinnerte, beurteilten die Höfe von Wien, Berlin und Paris 
diese für Ausländer wahrlich schwer verständlichen schweizerischen Wirren. 
Der Zar hielt sich etwas zurück, er wollte mit England nicht brechen,
	        
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