66 V. 2. Die Kriegsgefahr.
Empörer sei. Metternich selbst empfand zuweilen die Last seiner Jahre und
sagte mehrmals zu Maltzan: „In meinem Alter muß man zu erhalten, nicht
zu schaffen suchen; es wäre töricht, eine Arbeit zu beginnen, die man wahr—
scheinlich nicht mehr selbst beendigen kann.“?) Der alte unfruchtbare Streit
zwischen dem Staatskanzler und dem Grafen Kolowrat währte fort, und
da Erzherzog Ludwig noch immer jede Neuerung ablehnte, so kam unter
der Herrschaft dieses traurigen Triumvirats keine einzige der geplanten
Verwaltungsreformen zu stande. Der Staatshaushalt verharrte in der
gewohnten Unordnung, auch nachdem der mit der Wiener Börse nahe be-
freundete Finanzminister Eichhoff endlich den Abschied erhalten hatte.
Die Armee litt, wie Graf Maltzan bedauernd sagte, „in fast unglaub-
lichem Grade“ Mangel an allem, und eben jetzt, im Januar 1840, starb
General Graf Clam, der einzige Mann, der im Staatsrate einiges für
ihre Schlagfertigkeit getan hatte. Schlaffheit und gedankenlose Routine
herrschten überall; nur das italienische Heer unter Radetzkys Führung
zeigte sich kriegstüchtig. Noch niemals war das alte Osterreich für einen
schweren Kampf weniger vorbereitet gewesen. Unter solchen Umständen
konnte der greise König von Preußen, der für das stille Erstarken seines
Landes so dringend des Friedens bedurfte, nur den bescheidenen Wunsch
hegen, daß die Kriegsgefahr im Osten vorübergehen möchte.
Gleichwohl geschah das Unausbleibliche. Im Frühjahr 1839 ver-
mochte die Pforte die Wucht ihrer Rüstungen nicht mehr zu ertragen, der
Sultan seinen Haß nicht mehr zu bändigen. Der Krieg brach aus und
endigte mit einem Schlage. Die türkischen Truppen hatten dank der
einsichtigen Tätigkeit der preußischen Generalstabsoffiziere schon einiges
gelernt, aber auch in dem langen Lagerleben durch Krankheiten furcht-
bar gelitten. Nur die Hälfte des großen kleinasiatischen Heeres war unter
Hafiz Paschas Führung bei Nisib vereinigt, und diese Hälfte bestand zum
guten Teile aus feindseligen Kurden, welche die Stunde des Abfalls er-
sehnten. Hafiz hörte mehr auf die törichten Reden seiner Mollahs und
Astrologen als auf den großen fränkischen Ratgeber, der ihm zur Seite
stand. Er versäumte, wider den Rat des Hauptmanns Moltke, das Heer
Ibrahim Paschas bei einem Umgehungsversuche zur rechten Zeit in der
Flanke anzugreifen. Er verschmähte sodann, die Truppen an den Euphrat
in die feste Stellung von Biredschik zurückzuführen; und der Preuße legte,
das sichere Verderben voraussagend, sein Amt als Ratgeber förmlich
nieder. Am nächsten Tage, 23. Juni, ward der Pascha von dem sieg-
gewohnten ägyptischen Feldherrn in höchst ungünstiger Stellung ange-
griffen; nach kurzem, wenig rühmlichen Widerstande stob sein Heer ausein-
ander. Wie einst König Friedrich sein Feldherrnleben mit dem Fluchtritte
von Mollwitz eröffnete, so begann der größte deutsche Krieger des neun-
*) Maltzans Berichte, März 1810.