Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

772 XXXIV. Der Prinz von Preußen und die Verfassungspläne. 
Zum vierten wird das dem Landtage wie den Ausschüssen gewährte unbeschränkte 
Petitionsrecht angefochten. Petitionen über Finanzfragen erregen nur Unzufriedenheit; 
„niemand räumt ein, daß er zu viel des Geldes besitzt; jeder räumt ein, daß er dessen 
zu wenig habe.“ Auch höhere Politik, die innere wie die auswärtige, eignet sich nicht 
für ständische Petitionen. Sie wird ohnehin erschwert durch Preußens Doppelstellung 
als europäische und als deutsche Macht. Schon mehren sich in der Presse die Ausfälle 
gegen die anderen deutschen Staaten. Wie bald kann auch „das enge Band zwischen 
Preußen, Rußland und Osterreich, welches durch seine Macht bisher den Frieden auf- 
recht hielt", durch Angriffe der Stände gefährdet werden! 
Am allerwenigsten darf sich das Petitionsrecht der Stände auf das Heerwesen er- 
strecken. In allen Ländern strebt die Bewegungspartei nach Abschaffung der stehenden 
Heere; sie sucht ihr Ziel auf Umwegen zu erreichen, verlangt Schwächung der Armeen, 
Kommunalgarden statt der Truppen. Für Preußen sind diese Bestrebungen besonders 
gefährlich wegen unserer Landwehr. „Daher ist die Neigung unverkennbar, die Land- 
wehr auf Kosten der Linie zu erheben und ihre Trennung von der Linie immer greller 
zu machen, und zu beweisen, daß die strenge militärische Form und Disziplin ihr nicht 
nötig sei und sie vielmehr die Stelle einer Nationalgarde einzunehmen habe.“ Die Be- 
wegungspartei wird also versuchen, die Dienstzeit der Linie zu verkürzen und 
leicht eine Mehrheit finden, da alle Welt Ersparnisse verlangt; selbst die Konservativen 
werden den versteckten Plan nicht erkennen. Dieser Plan geht dahin, daß der Soldat 
die strenge Subordination sich nicht mehr fest einprägen, die Ubungen der Landwehr 
möglichst selten stattfinden sollen. Dazu die Feindseligkeit gegen die Offiziere, die Auf- 
lockerung der Standesehre, namentlich bei den Offizieren der Landwehr. „Wenn Dis- 
kussionen und Petitionen gedachter Natur dem Vereinigten Landtage preisgegeben werden 
und die Presse noch mehr als bisher schon geschehen entfesselt wird, ist das Bestehen der 
preußischen Landwehr, wie sie zur wahren Ehre, zur Wohlfahrt und zum Ruhme des 
Vaterlandes vor 32 Jahren geschaffen wurde, eine völlige Unmöglichkeit!!“ Kann aber 
Preußen nicht mehr seine Armee im Kriege verdoppeln oder verdreifachen, „so tritt Preußen 
auch von der Stufe, auf'welche seine Armee es gestellt hat, herab.“ — So lebendig stand 
dem Prinzen schon vor Augen, was er nach fünfzehn Jahren selbst erleben und durch- 
kämpfen sollte. 
Auch das Petitionsrecht über ständische Verhältnisse wollte er den Landständen ver- 
sagen: zu nahe liege die Gefahr, daß sie dieses Recht mißbrauchten, um beständig über- 
zugreifen und, von der Presse unterstützt, die Erweiterung ihrer Befugnisse zu verlangen. 
Werde die Regierung dann widerstehen können? „Somit steht das ganze Gebäude der 
ständischen Verfassung in Frage — eine Lage, die gewiß niemand wollen kann, und der 
zu entgehen man heute noch vollkommen die Macht hat.“ Im wesentlichen wollte die 
Denkschrift also die Tätigkeit der Stände auf die Beratung der vorzulegenden Gesetz- 
entwürfe beschränken. 
Nach alledem erklärt sich der Prinz „zu seiner tiefsten Betrübnis“ außer stande, 
das Patent über die Berufung des Vereinigten Landtages zu unterzeichnen. Er sei nicht 
gegen die Fortentwicklung der ständischen Gesetzgebung, denn die alten Verheißungen 
müßten erfüllt werden; er sei auch nicht gegen den gewählten Augenblick, nur gegen die 
Art und Weise der Erfüllung. Er sehe „die Rechte, die Würde und die Macht der Krone 
gefährdet“, er ahne die Gefahr, daß demnächst eine Konstitution ertrotzt werde. „Da 
Ew. Majestät es oft ausgesprochen haben, daß eine Konstitution für Preußen unmög- 
lich sei, weil es mit derselben aufhören würde, Preußen zu sein, so müssen auch alle 
Mittel und Wege vermieden werden, welche unfehlbar zu diesem Ziele führen müßten.“ 
Dann fuhr er fort — denn an die Möglichkeit seiner eigenen glorreichen Regierung 
hat er in jenen Tagen nie gedacht: — Es ist meine Pflicht, auf die Gefahren aufmerk- 
sam zu machen. „Aber noch eine andere Pflicht nötigt mich dazu, es ist der Blick auf 
meinen Sohn! Nach dem unerforschlichen Ratschluß Gottes scheint es bestimmt zu sein, 
daß die Krone sich in meiner Linie vererben soll! Da ist es denn meine heilige Pflicht,
	        
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