XXXV. Kühne an Bodelschwingh. 773
darüber zu wachen, daß der Nachfolger auf dem Throne die Krone mit ungeschmälerten
Rechten und mit der Würde und mit der Macht überkomme, wie ich sie heute vor mir
sehe.“ Endlich bittet er den Bruder, die volljährigen Prinzen zu einer Beratung zu
berufen, wie sie durch das Testament des Vaters vorgeschrieben und vom Könige selbst
im Jahre 1840 beabsichtigt worden sei. Sollten die Agnaten seine Bedenken nicht teilen,
so behalte er sich weitere Überlegung vor. So schließt er „mit tiefbewegtem Herzen,
Gottes gnädigen Beistand wünschend.“
Am 4. Januar 1847 fügte er eine Nachschrift hinzu, da die Entwürfe mittlerweile
noch einige Anderungen erlitten hatten. Auf Befebl des Königs hatte die Kommission
den Zusatz angenommen, daß auch die königlichen Prinzen in den Vereinigten Landtag
eintreten sollten. Der Thronfolger fand dies nur dann unbedenklich, wenn man den
Herrenstand selbständig, für sich allein tagen ließe; den Stürmen einer großen Ver-
sammlung, wo „alle Wirren der politischen Leidenschaften sich zügellos Luft machen“
würden, dürfe man die Prinzen nicht aussetzen. Auch die inzwischen beschlossene Ver-
stärkung der Herrenkurie genügte ihm nicht: Man muß die Aristokratie ganz gewinnen,
intem man sie ehrt; „denn nur wenn bei ständischen Institutionen, wie sie jetzt geschaffen
werden sollen, das Zweikammersystem angenommen wird, ist Heil und Segen noch für
die Zukunft des Vaterlandes zu erwarten.“ —
Als der Vereinigte Landtag versammelt war, stand der Prinz nicht an, sich selber
jenem Sturme politischer Leidenschaften, wovor er kürzlich noch gewarnt, auszusetzen und
verteidigte ritterlich die Regierung seines königlichen Bruders. Mit der gleichen Selbst-
verleugnung fügte er sich ein Jahr nachher in die konstitutionelle Staatsform; und die
Welt weiß, wie er dann als Herrscher verstanden hat, das neue Preußen noch höher zu
erheben, als das alte, Geist und Macht des alten preußischen Königtums auch unter der
neuen Verfassung lebendig zu erhalten. —
XXXV. RKühne an Bodelschwingh.
Zu Bd. V. S. 614.
Verehrteste Exzellenz.
Ich möchte gar zu gern Sie in diesen wichtigen Tagen nur auf eine Viertelstunde
— denn die wird's wohl kosten — sprechen dürfen wahrhaftig nicht meinetwegen, sondern
Ihretwegen und der Sache wegen. —
Ich bin keiner, der bange machen will oder leicht bange wird, das müssen Sie mir
zutrauen, sonst zerreißen Sie diesen Brief, dann werde ich zu Hause bleiben, d. h. nicht
zu Ihnen kommen, aber doch mitfahren, wo es befohlen wird; aber mit welcher Hoffnung
auf Erfolg? Das hängt viel von der Unterredung ab, die ich mir erbitte.
Ob der König das Recht hat zu sagen „so hab' ich’s befohlen und so soll's sein
oder nicht sein“ darüber streite ich niemals, das sind Ideologien, um die ich mich nicht
kümmere. Aber was ist gut, was zweckmäßig, was gegenüber einer von Grund auf durch-
wühlten und unterwaschenen Masse durchzuführen?
Da bin ich denn so frei, den Unterschied zwischen der Periodizität des vereinigten
Landtags und der vereinigten Ausschüsse auch für kaum etwas mehr als für eine Ideo-
logie zu halten. Sie sind gut und edel und wollen Ihre Zwecke nur mit entsprechenden
Mitteln (entsprechend dieser Ihrer Gesinnung) durchführen. — Wie aber sind Ihre Gegner?
Sie sind im Vertrauen auf die gute Sache, der Sie sich geweiht haben, tapfer und un-
erschrocken in der Verteidigung der Stellung, die Sie einmal eingenommen haben (oder
haben einnehmen müssen) und in den Angriffen gegen die, die Sie daraus vertreiben wollen.