8. 58. König Karl. Der deutsch-fr. Krieg u. die Aufrichtung des neuen deutschen Reichs. 235
bunden gewesen. Dazu erzählte man sich bei uns Wunderdinge von der Wir-
kungen des Chassepot, der Mitrailleuse und von der Tapferkeit der Turkos und
Zuaven. Zugleich aber erblickte jeder Deutsche in der Beleldigung des greisen
Preußenkönigs eine Beleidigung der deutschen Nation. Der Fehdehandschuh, der
unsrem Volk vor die Füße geworfen worden war, wurde aufgehoben — mit ge-
rechtem Zorn und Muth. Dleser Muth wurde gehoben durch das Vertrauen
auf den Gott, welcher der gerechten Sache immer zum Sieg verhllft, durch das
Vertrauen auf die Männer, welche als Leiter an der Spitze der Nation standen,
durch das patriotische und entschlossene Vorgehen der deutschen Fürsten, welche
in diesem leichtsiunntg aufgezwungenen Kriege nicht zurückstehen wollten. Mit
einem Schlage war Deutschland g#einigt; was lange Unterhandlungen nicht ver-
mocht hatten, brachte Napoleons Kriegserklärung zu Stande: — die Main-
linie eristirte nicht mehr. Aller Parteihader war vergessen; freudig und
freiwillig legte sich das Volk die größten Opfer auf, um Kranken und Verwun-
deten belfen zu können. Freiwillige stellten sich zu den Fahnen. Der Geist der
Jahres 1813 wehte wieder durch Deutschland Gaue 1), denn alles war darin
einig, daß dem welschen Nachbar, der uns nie in Ruhe gelassen hatte, eine ernste
Lektion gegeben werden müsse.
In Württemberg giengen die Kammern mit dem guten Beispiele voran.
Schon am 13. Juli war dem französischen Gesandten in Stuttgart durch Mi-
nister von Varnbüler eröffnet worden, daß sich die württembergische Regierung
durch die französischen, nach der Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern
gestellten Forderungen auf das empfindlichste verletzt fühle, ein Gefühl,
welches die ganze Bevölkerung Württembergs theile. Die Ständeberufung
war beschlossene Sache und die Kriegsgelder lagen in der Staatskasse bereit, falls
innerhalb der Ständeversammlung eine Weigerung stattfände. Schon vor dem
1) „Es gieng ein Gefühl durch die Nation, daß eine neue Aera in Deutschland an-
breche. Man verhehlte sich nicht, daß die neue Einheit mit Blut gekittet werden müsse,
aber man war zu allen Opfern bereit. Noch nie war in deutschen Landen eine solche
Willigkeit zu werkthätiger Hilfeleistung bei den unvermeidlichen Leiden des Krieges zu
Tage getreten, als bei dieser Gelegenheit. Allenthalben bildeten sich Vereine von Män-
nern und Frauen zum Lazaretdienst, zur Verpflegung von Kranken und Verwundeten,
zur Darreichung von Speisen und Getränken an die Ausziehenden, zur Unterstützung
der in der Heimat zurückgelassenen Familien der Landwehrmänner. Das rothe Johan-
niterkreuz auf weißer Armbinde sollte als Erkennungszeichen dienen und vor feindseliger
Behandlung schützen. Es war der Drang der Humanitlät und Menschenliebe, den auch
die eiserne Nothwendigkeit des Krieges nicht zu ersticken vermochte. Der vaterländische
Geist war überall erwacht: die deutsche Literatur und die deutsche Schule hatten an
dieser Begeisterung keinen geringen Antheil, und Arndts flammende Lieder waren nicht
umsonst erklungen. Hatte Geschichte und Literatur im Spiegel der Vergangenheit unsere
Tugenden und Fehler gezeigt, so hatte die Schule Vernunft und Nachdenken geweckt
und gestärkt und hatte gelehrt, Solidität vom Schein, Wahrheit von Phrase zu unter-
scheiden. Mit eruster Andacht strömte alles Volk zu dem allgemeinen Bettag in die
Kirchen, um für die bevorstebende schwere Zeit Hilfe und Erbarmen vom Himmel zu er-
flehen und die Seele zu stärken durch inbrünstiges Gebet. Wie im Jahr 1813 war
auch jetzt wieder Frömmigkeit und religlöses Gefühl mit Vaterlandsliebe in der deutschen
Soldatenbrust vereinigt und stärkte die todesmuthige Begeisterung und Hingebung für
die große Sache. Ohne Unterschied der Konfession sah man die Krieger, ehe sie die
feindliche Erde betraten, die Evangelischen zum Abendmahl, die Katholischen zur Beichte
gehen, um versöhnt mit Gott und im gläubigen Vertrauen auf seine Gnade und Barm-
herzigkeit in den Todeskampf zu ziehen.“ Weber.