Vaterländische und Partei-Taktik
Weimar, 3. Juli
Noch heute früh erzählten Aeuigkeitskrämer, die unbesiegte
deutsche Flagge werde uns erhalten bleiben. Sie kennen das
Zentrum nicht. Ee ist gewöhnt, „wie ein Kadaver“ zu ge-
horchen, wenn aus Parteitaktik seine Oberen das Unmögliche
verlangen. So stimmt es denn geschlossen mit den beiden
sozialistischen Parteien und den Demokraten Quiddescher Art
gegen Schwarz-Weiß-Rot. Auf eine Zämmerlichkeit mehr
oder weniger kommt es in diesen Tagen auch nicht mehr an,
denn die kommende Bußzeit wird unser ganzes Volk doch für
alles zusammen in Bausch und Bogen heimsuchen.
Oa man in drei Tagen mit der Verfassung fertig werden
will, arbeitet die parlamentarische Maschine beute mit der
vierten Geschwindigkeit. Außer dem Flaggenparagraphen
werden noch rund zwanzig andere Artikel erledigt. Die Mehr-
heit will die Ernte bergen, ehe das Gewitter kommt. Zur
Abfahrt jeder Paragraphenladung wird gedrängt. Wer dann
noch etwas aufpacken will, irgendeinen Abänderungsantrag,
der wird brüsk niedergestimmt. Auch der Dr. Heim, das bave-
rische Schreckenskind des Zentrume, sagt, er wisse ja, daß er
für eine verlorene Sache rede, wenn er für den bundesstaat-
lichen Charakter des Reiches noch eine Lanze breche. Dabei
sei der Unitarismus, die Vereinheitlichung, nur eine hypnoti-
sierende Phrase der intellektuellen Oberschicht. Der Kern
des Volkes sei bundesstaatlich gesinnt. Diese Verfassung, die
die wechselnde parteipolitische Mehrheit der Nationalversamm--
lung zum einzigen Souverän des Reiches mache, lasse den
Bundeestaaten keinerlei Einspruch mehr. Sie seien nicht ein-
mal mehr in ihrem Bestande und in ihren Grenzen geschützt,
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