Full text: Friedrich der Vorläufige, die Zietz und die Anderen.

zuhalten. Bei einem Hammelsprung stellt sich schon heute in 
der ersten halben Stunde heraus, daß nicht die Hälfte der Ab- 
geordneten anwesend ist. „199“, wird dem Präsidenten Fehren- 
bach zugerufen, „1991“ Er winkt matt ab, als wolle er sagen: 
„Weiß schon! Weiß schon!", läßt sich wortlos in seinen 
ragenden Adlersessel fallen, verschnauft sich erst eine ganze 
Weile wie ein verzweifelnder Lebrer inmitten einer Horde 
unbelehrbarer Zungen und beraumt dann, unter Schließung 
der jetzigen, eine neue Sitzung an. Nach 25 Minuten ist die 
nötige Zahl Volkevertreter herantelephoniert worden, und 
die Beratung kann weitergehen. 
In den Bänken gerade der Regierungsparteien klaffen die 
größten Lücken. Rur ein knapp über die Hälfte gefülltes Haus 
beschließt — und so ist es alle Tage — über die grundlegenden 
Gesetze des Deutschen Reiches. Sobald sie aber in dieser 
leichtfertigen Art entstanden sind, sollen sie auf einmal heilig 
und möglichst unantastbar sein. Von da ab, so wird heute be- 
schlossen, ist zu jeder Verfassungsänderung eine Zweidrittel- 
mehrheit in einem mindestens zu zwei Oritteln gefüllten 
Hause nötig. Dabei wissen wir, daß die mit der Hälfte be- 
schlußfähige Nationalversammlung, wie der Ausfall der Kreis- 
tagswahlen im ganzen Lande erweist, gar nicht mehr dem 
Willen der Nation entspricht, die im Januar noch gänzlich 
unaufgeklärt und im vollen Wilson-Rausche an die Urne ging. 
Das wissen auch die regierenden Parteien. In ihrer Angst 
vor dem kommenden Umschwung sind sie daher zu allem be- 
reit, auch zu einem verbrecherischen Attentat auf das Selbst- 
bestimmungerecht des Volkes: es wird in ihren Konventikeln 
der Plan erwogen, die jetzige verfassunggebende Nationalver- 
sammlung, die nach Erledigung ihrer Aufgaben auseinander- 
gehen müßte, ohne Neuwahlen einfach als Reichstag 
weiterbestehen zu lassen, sich also auf diese Art die 
verfallenen Mandate weiter zu erschleichen. 
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