treter der drittstärksten Fraktion ein Demokrat beschließen.
Aber der möchte ein Schlachtopfer haben, während er selber
noch bis zum Nachmittag das Messer wetzt. So läßt man
denn einem Deutschnationalen den Vortritt, um ihn nachher
abzutun. „Es wäre doch besser gewesen, ich hätte zuerst
gesprochen!“ ruft aber schon nach wenigen Minuten der
demokratische Abgeordnete Koch bedrückt seinen Partei-
freunden auf den Nachbarsitzen zu; denn was der frühere
Staatsminister Dr. v. Delbrück da oben auf der Redner-
tribüne in wundervollem, glasklarem Aufbau vorbringt, das
ist geradezu unangreifbar. Die erste wirklich große staats-
männische Rede, die wir in diesem Hause gehört haben. Sie
ist nichts weniger als konservativ, aber ebensowenig demo-
kratisch; der da oben redet, gehört zu der „Gerusia“ Deutsch--
lands, zu dem Rate der Alten, unter denen alles Partei-
treiben längst in wesenlose Tiefe versunken ist. Er hat nicht
nur als Oberbürgermeister, als Minister, als stellvertretender
Kanzler deutsche Geschichte ein Menschenalter lang mit-
geschaffen, sondern hat auch in der letzten Zeit vor dem Um-
sturze als Kabinettschef des Kaisers es miterlebt, wie eine
von Deutschen der Heimat gelegte Mine die deutsche Mon-
archie in die Luft sprengte. Warum? Ach, dieses qualvolle
„Warum“", mit dem wir immer an den Pforten des Ver-
hängnisses rütteln wollen. „Die Demokratisierung Deutsch-
lands“, so sagt Delbrück, „war in der besten Entwicklung.“
Niemand habe die Notwendigkeit klarer erkannt als der Kaiser.
„Na, nal“ ruft eine Stimme von links; und „Na, nal“ echot
ermutigt die Nachbarschaft. „Jawohl, meine Herren,“ er-
widert Oelbrück, „das muß ich wahrhaftig doch wissen!
Der Kaiser wollte dem Volke ähnliche Enttäuschungen wie
1815 und 1848 ersparen; er war fest dazu entschlossen!“
Von nun an verstummt jeder Zwischenruf. Man sieht aus
Delbrücks staatsrechtlich-geschichtlichen Ausführungen den
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