16 Aufstieg
Mitternacht taghell auf wohl über 60 Grad nördlicher Breite, die
See still und bedeckt mit Fischerfahrzeugen, Holländern, Schotten
und ein paar Franzosen — da konnten wir unsre Schützlinge tage-
lang nicht finden. Endlich sahen wir ein paar Logger, die auf unsre
Beschreibung paßten, und erkannten im Fernrohr auch wirklich den
feinen schwarz-weiß-roten Streifen, der uns als Merkmal angegeben
war. Wie wir aber darauf losgingen, setzte der nächste Logger Segel
und drückte sich weg. Wir schickten einen Schuß hinterher, da ließ
er das Segel heruntergehen. Auf unser Befragen, weshalb sie ihr
Deutschtum verleugneten, sagten die Leute, es wäre ihnen zu unsicher
gewesen, sie hätten riskiert, daß ihnen die Fremden durch die Netze
fuhren und sie ihnen entzwei rissen. Unsere guten Emdener fuhren
nämlich unter holländischer Flagge und scheuten sich, als Deutsche
Farbe zu bekennen. Unsere Heringskapitäne stammten alle nicht weit
von der holländischen Grenze. In Lerwick trafen wir einen, der bei
unserem Herannahen die deutsche Flagge hißte, uns beflissen ein
Tönnchen Matjesheringe an Bord brachte, dann aber sofort in
See ging und verschwand. Darauf erzählte uns der Offizier
eines dort liegenden niederländischen Kriegsschiffes, dieser Logger,
der sich heute als Deutscher aufspielte, wäre erst gestern Nacht als
Holländer hereingekommen und hätte auf dem niederländischen Schiff
Arzt und Arzneimittel requirirt. Die Heringsgesellschaft hatte ihren
Leuten dies eigenartige Verfahren selbst empfohlen.
So erlebten wir anschaulich, wie verschüchtert ein großes Volk
ohne Seegewalt werden kann und wie entfremdet wir den Werten
waren, welche das Meer uns bot. Es war ja noch nicht lange her,
daß Palmerston gedroht hatte, ein Schiff mit deutscher Flagge als
Praten zu behandeln. Als wir im selben Jahre (1872) bei Amrum
waren, versteckten sich mehrere Finkenwerder Kutter hinter der Insel,
weil die englische Nordseefischerflotte mit 80 oder 90 Schiffen die
See vor Amrum bedeckte. Wir empfahlen den Finkenwerdern, aus-
zufahren, da uns ja nichts lieber sei, als daß wir einen dieser frem-
den Fischer bei etwaiger Uberschreitung der Dreiseemeilen-Hoheitsgrenze
abfassen könnten. Das wollten sie nicht wagen, entgegneten die Finken-
werder, denn wir wären ja nicht immer, zum Schutze da. So sah
es mit nationalem Stolz und unsrer Geltung an der eigenen Küste
aus. Wie waren wir doch seit den Hansazeiten herabgekommenl