— 35 —
auch, wenn die pfälzischen und bayrischen Patente den Ausdruck an-
wenden: „bis das heilige Römische Reich wiederum mit einem ordent-
lishen Haupte versehen ist'!), denn dies bringt den Gedanken zum
Ausdruck, dass die während des Interregnums den Staat regierenden
Subjekte dem weggefallenen nicht gleichwerthig erscheinen; ebenso
wenn Kurfürst Johann Georg von Sachsen in einem Briefe an „Kur-
fürstl. Pfalz Herrn Administratorn“ vom 12. Januar 1612 das Inter-
regnum die Zeit nennt: „ehe das Reich mit einem gewissen Haupt
wiederum versehen.“?2) Dieselbe rechtliche Erscheinung meint der
Kurfürst Ferdinand Maria von Bayern, wenn er in einem Briefe
an das Kammergericht vom 13. April 1657 schreibt: „Demnach nun
durch solchen leidigen Todesfall das heilige römische Reich seines
vorgestellten Oberhauptes beraubt und vacirend ge-
worden...“ Er fährt fort, er habe das Vikariat angetreten, „bis
dasselbige (heilige römische Reich) durch ordentliche Wahl mit einem
anderen Oberhaupt versehen wird‘“.?)
II. Eine solche Konstruktion des Interregnums, die für den ersten
Blick etwas befremden möchte, erklärt sich nicht etwa negativ aus
dem Umstande, dass das ungeschulte publizistische Denkvermögen
früherer Jahrhunderte wenig skrupulös das wahre Subjekt der Reichs-
gewalt im Interresnum verkannt und daher allein das Fortfallen
des bisherigen Throninhabers verstanden habe, sondern positiv aus
der sehr interessanten und einer eingehenderen Untersuchung, als
an dieser Stelle möglich, würdigen Thatsache, dass das Staatsrecht
des Reichs schon seit dem zwölften Jahrhundert, ja zum Theile noch
früher einen tiefgreifenden Unterschied zwischen Monarchen und Staat,
zwischen Kaiser und Reich als für sich einzeln bestehenden,
selbständigen, in ihrem Werden und Vergehen vollkommen von einander
unabhängigen Rechtspersönlichkeiten statuirte. Es wird hier nicht
an die stehende Formel „Kaiser und Reich“ gedacht, welehe in ganz
anderem Sinne für Kaiser und Reichstag (als ständischer Ver-
tretung des in Gegensatz zum Kaiser gebrachten Volkes) gebraucht
wird. Vielmehr erscheint das Reich selbst als das nicht sinnliche,
1) Siehe die Vikariatspatente vom 23. April 1711 (Faser XVII. S. 621 ff.),
vom 16. März 1745 (Moser, Vom röm. Kaiser u. s. w. S.785ff.) und vom 3. Mai 1745
ıv. SARTORI 9. 79.ff.), auch das bayrische und pfälzische gemeinsame Patent vom
30. Okt. 1740 (Faser LXXVIIl. Anhg. S.17ff.); Schreiben des Pfalzgrafen Carl
Ludwig an das Kammergericht vom 14. April 1657 (DECKHERR, Gründliche historische
Nachricht von denen Interregnis, 2. Ausg. 1722, Beil. 18).
2) DECKHERR a.2.0. Beilage 1.
3) DEcKHERR 8.8.0. Beilage 16.
z*