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trotz des Mangels eines Oberhauptes fortbesteht, zur geregelten Durch-
führung seiner ihm innewohnenden Zwecke nothwendigen Organe,
berechtigt und verpflichtet, den dem Staate eigenen höchsten gemeinen
Willen zur Bildung zu bringen und zur konkreten staatlichen That
zn gestalten; aber das Recht verknüpft den staatlichen Willen nicht
derart mit ihrer Person, dass ihnen die Staatsgewalt zu eigen wäre,
Treffend sagt Weıss !): „vieariis tantum exereitium jurium impera-
toriorum, paueis exceptis, ipsum commissum ... omnem potestatem ut
Viearii et provisoresImperiiperaguntnonutdominiaut
imperatores.“
So sind die Vikare berufen:
a) verfassungsmässig zur Ausübung der Staatsgewalt. Wenn
auch nicht die Gewalt selbst, so doch ihre Ausübung steht ihnen
kraft eigenen Rechtes zu, unabhängig von einem anderen Willen, genau
wie dem Regenten im Namen eines Monarchen. Sie fällt ihnen ipso
jJure mit dem Wegfall des Gewaltenträgers zu. Sie haben ihre Gewalt
„propria vi, auctoritate et lege; sie haben keiner Gewaltsübergebung
nöthig.‘ 2)
b) Sie sind berufen zur Ausübung der gesamten Staatsgewalt,
soweit sie nicht gesetzlich darin beschränkt sind. Sie pflegen die
Machtmittel des Reichs, insofern ihnen das Oberkommando über die
Befehlshaber der Reichsheere und die Sorge für die Reichsfestungen
Kehl und Philippsburg obliegt, soweit nieht der Reichstag, wie ausserhalh
des Interregnums, hierbei konkurrirte, und halten den Frieden im Reiche
aufrecht.3) Sie üben die Reichsgerichtsbarkeit (potestatem judieia exer-
cendi: A. B.V, 1.) durch ihre Vikariatshofgeriehte und regeln die
Justizverwaltung, insofern sie z. B. die Ernennung des Kammerrichters
und der Senatspräsidenten, sowie die Präsentation der sonst vom
Kaiser zu präsentirenden Beisitzer) und die Visitation des Reichs-
kammergeriehts in der Hand haben 5); dieses spricht aber Recht nicht
1) Dissertatio de vicariis S. 15.
2) Die Abhandlung bei Arumaeus, disc. acad. S. 16.
3) v. ABeELe S. 155 fl. Vgl. z. B..den Brief des Kurfürsten von Sachsen an
König Friedrich von Preussen vom 17. December 1740 bei (Olenschlager), Ge-
schichte des Interregni nach Absterben Kayser Karls VI. Bd. I. S. 300 f.
4) Diese Befugniss wurde ihnen häufig, auch vom Kammergerichte selbst,
streitig gemacht. S. Danz a. a. O. S. TLff. In der That haben sie aber ihre
Ansprüche meist durchgesetzt. Vgl. DEcKHERR, Gründliche Nachricht, Beilage 12;
v. Römer a.a. O0. S. 327; MALBLANK, Anleitung zur Kenntniss der deutschen
Gerichtsverfassung I. S. 44f., 66; v. ABELE S. 110.
5) v. Römer S. 327; v. ABELE S. 110.