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Von manchen Seiten wird als Subjekt der Staatsgewalt der
Staat selbst bezeichnet.') Soll hierdurch zum Ausdrucke gebracht
werden, dass der Staat selbst Persönlichkeit, selbst willensfähiges
Subjekt ist, so lässt sich dagegen nichts einwenden. Freilich sagt
man dann etwas Selbstverständliches, ohne die wissenschaftliche Er-
kenntniss des Staates zu fördern.?2) Die weitaus grössere Zahl der
Schriftsteller indessen versteht unter dem Träger der Staatsgewalt
etwas anderes als den Staat. Sie geht davon aus, dass der Staat
als solcher zwar Person im Rechtssinne, aber eine „begriffliche Ab-
straktion“, dass er zwar selbst willens- und handlungsfähig ist, dass
aber sein konkreter Wille und seine Handlungen durch Willen und
That menschlicher Willensträger zur Realität, zur praktischen Er-
scheinung gebracht werden, dass der Staat zwar selbst Subjekt der
Herrschaft ist, dass aber die Herrschaft durch ein Gewaltverhältniss
zwischen physischen Personen, zwischen Herrscher und Unterthan,
zum Ausdruck gelangt. Diejenige physische Person nun, in welcher
sich die Staatsgewalt, der in Herrschaft sich äussernde Staatswille
„verkörpert“, den „Herrscher‘‘ nennt man den Träger der Staatsge-
walt. Er ist derjenige, dem die Herrschaft zu eigenem Rechte
in dem Sinne zusteht, dass er in keiner Weise Objekt einer frem-
den Herrschaft ist: die Herrschaft ist sein, er ist Nieman-
des Unterthan, auch nicht Unterthan des Staates. Das bedeutet
nicht, dass im Staate zwei Herrschaftssphären, eine des Staates und
eine des physischen Herrschers existiren 3); denn der Herrscher ist
zwar nicht identisch mit dem Staate, aber er kann als Herrscher
nur in innigstem Zusammenhange mit dem Staate gedacht werden,
da ja das Wesentliche seiner Stellung gerade das ist, dass in ihm
die abstrakte Persönlichkeit des Staates zur konkreten Erscheinung
kommt. Er ist Herrscher nicht als Individuum, sondern als haupt-
sächlichstes Glied, als Oberhaupt des Staates, sein Wille nicht als
solcher, sondern sein Herrscherwille deckt sich mit dem Staatswillen.*)
Deshalb ist das Verhältniss auch nicht so zu denken, als ob zwischen
Staat und Herrscher eine Theilung des Herrschaftsrechts statt-
fände.5) Der Herrscher hat auch nicht lediglich ein eigenes Recht
1) So z.B. LaBaxp, Staatsrecht des deutschen Reiches (2. Aufl.) I. S. S6 f. u. ö.
2) Vgl. FRickEr, Die Verpflichtung des Kaisers zur Verkündigung der Reichs-
gesetze. Leipz. Dekanatsprogramm 1885, S. 19.
3) Das weist schon v. GERBER, Grundzüge S. 19, Note 1 zurück.
1) Vgl. die trefilichen Ausführungen Haenersin Hirths Annalen (1877) S. 89 fi.
5) So neuerdings BERNATZzıK, Archiv für Öffentliches Recht V. 8. 297 f.;
Republik und Monarchie S. 26ff. Das Herrschaftsrecht ist nach ibm dem