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welche provisorisch die Regierungsgeschäfte besorgen, die Staatsge-
walt im Namen oder als Stellvertreter des nicht mehr vorhandenen
Fürsten ausüben. Eine nicht mehr vorhandene Person, sei es dass
sie überhaupt nicht mehr, sei es dass sie, wie nach einem Verzicht,
nicht mehr in ihrer Eigenschaft als Throninhaber existirt, kommt
für das Staatsrecht nur als gewesenes, nicht als gegenwärtig be-
rechtigtes Subjekt in Frage. Eine Fiktion wäre hier wie überall
ein ebenso schwacher wie wissenschaftlich unzulässiger Nothbehelf.
I. Noch nicht ist Träger der Staatsgewalt der zukünftige
Inhaber des Thrones: eine zukünftige Person ist noch keine Person.
Selbst wenn wir von dem Widerspruche ganz absehen wollten, der
in der Formel einer Regentschaft für einen nicht Vorhandenen liegt,
so steht es ja während des Interregnums noch gar nicht fest, dass
eine solche zukünftige einzelne Person tiberhaupt zur Erscheinung
kommen werde: das Interregnum kann sich in eine Republik auf-
lösen und kann mit dem gänzlichen Zerfalle des Staates enden, eine
Anarchie vorbereiten; das ist selbst in der Wahlmonarchie nicht aus-
geschlossen. Aus demselber Grunde kaun der Embryo nicht Träger
einer Krone sein; die ungeborene Leibesfrucht ist noch kein Subjekt
eines öffentlichen Rechtes, einer öffentlichen Gewalt. Eine Analogie
privatrechtlicher Lehrsätze ist hier wie zumeist auf dem Gebiete des
öffentlichen Rechtes ebenso wie jede Fiktion von der Hand zu weisen.
II. Nicht sind Subjekte der Staatsgewalt diejenigen Personen,
welche, sei es als Einzelne, sei es zu Mehreren in einer Vereinigung
als Colleg, die Staatsgeschäfte im Interregnum leiten: also die Vikare,
Reichsverweser, schlecht sogenannten Regenten, oder ein Colleg von
Ministern, wie z. B. der Gouvernementsrath nach dem französischen
organischen Senatusconsultum vom 18. Mai 1804 (a. 8), die von
beiden Kammern provisorisch angeordnete „Regentschaft‘‘ nach der
belgischen Verfassung vom 25. Februar 1831 (a. 85). Wäre das
der Fall, so würde das Interregnum entweder den Charakter einer
Monarchie, aber keiner voraussichtlich immer währenden, sondern
einer durch einen zukünftigen Zeitpunkt von vornherein begrenzten,
oder das Bild einer provisorischen Aristokratie zeigen. Beides
ist ebensowenig historisch beglaubigt als begrifflich möglich.
Die geschichtliche Betrachtung lehrt, dass in den Zwischen-
reichen, die tiberhaupt für eine juristische Beobachtung Material
liefern, niemals diejenigen Personen, welche thatsächlich an
der Spitze der Staatsgeschäfte gestanden haben, darum auch die
Träger der Staatsgewalt zu eigenem Rechte gewesen sind. Für einen