Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

Zurückhaltung, die jede unnötige Familiarität ausschloß, ein guter 
Kamerad sein wolle und könne, stets bereit, sich mit ihnen in ihren 
Plänen und Bestrebungen zu identifizieren und von dem aufrichtigen 
Streben erfüllt, mit ihnen, auf jedes Privilegium verzichtend, als 
Gleichgestellter zu konkurrieren. Da der Prinz in der Auswahl 
seiner näheren Bekannten grundsätzlich weder beeinflußt noch be- 
schränkt wurde, so bildete sich zu einigen spmpathischeren Persönlich- 
keiten ein näheres Verhältnis, das einen vertrauteren Berkehr ge- 
stattete. Die ganze Situation gestaltete sich auch in dieser Beziehung 
so natürlich und deshalb fruchtbar, wie es kaum zu hoffen gewesen 
war.? 
Ich habe mit allen meinen Mitschülern gute Kameradschaft ge- 
halten, ohne gerade mit dem einen oder anderen engere Freundschaft 
zu schließen. Besonders entsinne ich mich noch der Kameraden 
Johannes Brauneck, später Direktor des Wilhelm-Gymnasiums in 
Hamburg, des nachmaligen Staatsanwalts Ganslandt und eines 
klefnen jüdischen Mitschülers, des späteren Appellationsgerichtsrats 
Sommer, der im September 1029 verstorben ist. Am meisten ver- 
kehrt haben wir, d. h. mein Bruder Heinrich und ich, mit einem 
Kameraden namens Wild, der weder in dessen noch in meiner Klasse 
war) es war der spätere Kriegsminister Wild v. Hohenborn. Ein 
netter, frischer Knabe, unschätzbar bei den damals viel geübten 
Scharadespielen und Theateraufführungen, hat er uns beiden sehr 
nahe gestanden. 
Auch einer anderen Jugendbekanntschaft aus dieser Zeit möchte 
ich hier Erwähnung tun, wenngleich sie mit dem Gymnasium nichts 
zu tun hat. Ich meine den fungen Grafen Emil Görtz, den ich bei 
einem Besuche in Schlitz kennen lernte. Von riesengroßem Wuchs, 
war er eine genial veranlagte Natur, begabt in vielen Künsten, er 
malte, sang, deklamierte, dichtete, komponierte, bildhauerte — und 
strotzte von Kraft und Tätigkeitsdrang. Dazu besaß er einen kristall- 
12)
	        
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