Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

Uber den Unterricht selbst wüßte ich aus eigener Erinnerung 
kaum noch etwas zu berichten, und bestenfalls wäre dieses durch den 
Anschauungswandel im späteren Leben getrübt und verzerrt. Es er- 
scheint mir daher am besten, wenn ich statt dessen die Worte meines 
Curriculum vitae hierhersetze, die getreu meine damalige Anschauung 
wiedergeben. Ich setze mit der Stelle ein, die sich an die vorhin 
erwähnte über Sallust anschließt: 
«Später lasen wir eine Rede Ciceros, „Pro lege Manilia“ oder 
„de imperio Cn. Pompeji“, welche ich für die einzige halte, in welcher 
Cicero weniger von sich als von dem Gegenstand seiner Rede spricht. 
Im Griechischen lasen wir den Homer, da frischte ich alle meine 
alten Vorstellungen von dem antiken Griechentum in wohltuender 
Weise wieder auf. Die schönen Gleichnisse aus der Natur, die 
Schilderungen der Helden, ihrer Taten und Kämpfe, das alles war 
es, was mich hinriß und mich unwiderstehlich an den Homer fesselte. 
Und nun kam noch die schöne äußere Form des Gedichtes hinzu, 
die einfachen und doch großartigen Hexameter, wie vortrefflich schienen 
dieselben geeignet, die großen Ereignisse wiederzugeben, welche sie 
schildern sollten! Ich finde und bleibe dabei, daß nichts über die 
griechische Sprache geht und in der griechischen Sprache nichts über 
den Homer, und zwar über seine Ilias. 
Zu Ostern wurde ich mit meiner Klasse in die Unterprima ver- 
setzt. Hier begannen wir beim Herrn Direktor die Lektüre des Horaz, 
eines Dichters, für welchen wir alle nach wenigen Tagen schon be- 
geistert waren, und in welchem wir endlich den größten römischen 
Schriftsteller kennen lernten. Da außerdem mit der Erklärung der 
Oden auch etwas Kunstgeschichte verbunden war, so war es für mich 
doppelt interessant, weil ich die Kunstgeschichte sehr gern hatte und 
wesl ich manches NWeue dabei lernte. Hlerbei kamen mir die Vor- 
träge des Professors Bötticher vom Berliner Museum über die 
Architektur und Bildhauerkunst der Griechen und Römer sehr zu- 
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