sagen, eine Quintessenz dessen, was er geschrieben hat, für mich zu
behalten und zu bewahren für das Leben. Dieses war mir jedoch
bei jener Schrift mit dem besten Willen nicht möglich, ich fand nichts
als eine endlose Menge von Perioden und Phrasen mit einer Liste
von Rednern und Sophisten, die mich alle mehr oder weniger gar
nicht interessierten.
Um so mehr wurde ich dann im Griechischen entschädigt durch das
Lesen des Demosthenes. Staunen und Bewunderung erfüllten mich,
wenn ich den gewaltigen Mann im Geiste ansah, wie er in der Jugend
in unglücklichen Verhältnissen aufgewachsen, sich emporarbeitete und
emporrang bis zum gewaltigsten und berühmtesten Redner, den es
se gegeben, denn noch jetzt richten sich die Redner nach ihm. Alle
Hindernisse, die sich ihm in den Weg stellten, besiegte er, sowohl die
seines Organs als die, welche seine Gegner ihm bereiteten. Und
nun seine Redel Klar, einfach, wahr, ohne große Prahlerei von
seinen Verdiensten oder Taten, immer nur die Sache, um welche es
sich handelt, im Auge, nie, auch nicht ein einziges Mal spricht er
von sich selbst. Der größte Beweis dafür, daß er ein großer Redner
war, ist doch wohl der, daß, nachdem er gesprochen hatte, die athe—
nischen Heere in den Kampf, in den Tod marschierten. Bei seinen
Reden wandte Demosthenes auch nicht feingedrechselte Perioden und
Phrasen an, nein, frisch von der Leber weg sprach er, was er auf
dem Herzen hatte, er sagte den Athenern oft auch derbe Wahrheit
ins Gesicht. Und darum gefiel er mir auch so sehr und deshalb
verachtete ich den neben ihm kleinlich aussehenden Cicero immer mehr,
se mehr ich mich in den Demosthenes vertiefte.
Auch mein Enthusiasmus für den Horaz ging nach und nach
verloren. Je mehr Oden ich las, um so mehr lernte ich den Charakter
des Dichters erkennen. Wenn man sich den Horaz in die Jetztzeit
versetzt dächte, so würde jeder anständige Mensch sich schämen, mit
ihm zusammen zu gehen, und noch wentger würde es einem an-
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