württembergische Agrarverhältnisse. 203
thümlichkeiten des Volks, mit dem man es zu thun hat. Solche
Völker und Stämme, welche voll individuellen Selbstgefühls sind,
die das Leben mit Energie anzugreifen pflegen und fromm und
treu an alter Sitte halten, werden von der Freiheit in der Ver-
fügung über Grund und Boden im Ganzen keinen verderblichen
Gebrauch machen, wenn nur diese Freiheit wirklich eine voll-
kommene ist, nicht nur in der Freiheit zu theilen und zu ver-
kleinern besteht, sondern auch die gesetzliche Möglichkeit zu
erhalten in sich begreift. Solche Stämme dagegen, wo entweder
Leichtsinn in den Dingen des socialen Lebens, namentlich in
Bezug auf bürgerliche Niederlassung und Verheirathung, oder
wo eine gewisse -Schlaffheit besteht, die dem Einzelnen auch
starke Entbehrungen an Lebensgenüssen als leichter erträglich
erscheinen lässt als vorsichlige Selbstverläugnung und ein mann-
haftes Sichaufraffen, um es sich im Leben besser zu machen,
werden mit ‚dieser Freiheit ganz gewiss ins Verderben stürzen.
Das beinahe sprüchwörtlich gewordene extreme Beispiel der
Völker dieser Art stellen die Irländer dar, für die andere stärkere
Volksart weiss ich kein besseres Beispiel als dasjenige, welches
der englisch-sächsische Stamm sowohl in England selbst und in
Nordamerika als in seinem Ursprungslande bietet.
Legt man diesen Maasstab der Beurtheilung an unsern Bauern-
stand, wie wir ihn im grössten. Theil von Deutschland und zu-
nächst in Württemberg haben, so muss man, wie ich glaube,
allerdings viele vortreffliche Eigenschaflen anerkennen. Die Be-
wohner unserer vorherrschend landwirthschafllichen Gemeinden
sind im Ganzen äusserst fleissig und sparsam. Mögen sie auch,
wenn es ihnen einmal gut geht, zu übermässigem Verbrauche
geneigt sein, so ertragen sie doch auch schlechte Zeiten und Noth
mit seltener Resignation und nachhaltiger Geduld. Dagegen glaube
ich nicht, dass man ihnen im Allgemeinen die nöthige Vorsicht
bei häusslichen Niederlassungen nachrühmen kann und noch
weniger die rechte Energie im Angriff auf das Leben, und
namentlich muss es beklagt werden, dass ihre Anforderungen
ans Leben so gering sind und dass sie sich leichter, als es sein
sollte, in schlechtere Verhältnisse fügen. Gerade diese lelztern
Eigenschaften aber sind es, auf welche es bei der Freiheit an-