württembergische Agrarverhältnisse. 207
dagegen einwenden, diese Zustände seien nur vorübergehend,
hervorgerufen durch das Unglück der lelzten Jahre. Dauernde
Ursachen der Noih seien nicht vorhanden und namentlich trage
kein Missverhältniss zwischen Grundbesitz und Volkszahl, keine
übertriebene Verkleinerung des landwirthschaftlichen Besitzes an
dem jetzigen Nothstand Schuld.
Nun ist es ganz richlig, dass vorübergehende Ursachen
zum grossen Theil die bestehenden übeln Zustände verschuldet
haben. Zu diesen vorübergehenden Ursachen ist namentlich in
erster Linie das Unglück zu zählen, dass jetzt schon vier Jahre
hintereinander, nämlich seit dem Jahre 1849, der Wein miss-
ralhen ist. Sodann ist der seit 1845 eingelreiene Preisabschlag
des Holzes auf zwei Drittel bis zur Hälfte seines früheren Preises
ein grosses Unglück für diejenigen Gegenden, welche vorzugs-
weise vom Holzertrag und den Arbeiten im Wald ihre Nahrung
ziehen. Ob freilich dieses Unglück ein ganz vorübergehendes
ist, steht bei der neuerdings eingetretenen grösseren Wohl-
feilheit der Steinkohle noch dahin. Drittens ist als Haupt-
ursache der Noth die Kartoffelkrankheit anzusehen, welche nun
bereits acht Jahre hintereinander das wichtigste Nahrungsmittel
der ärmeren Gemeinden geschmälert und theilweise ungeniessbar
gemacht hat. Wir wollen hoffen, dass diese Nothursache recht
bald vorübergehe, müssen aber dabei den Wunsch aussprechen,
dass das Volk sich aus der jetzigen Krankheit dieser Frucht die
Lehre entnehme, dass sie zwar ein vortreffliches Nebennahrungs-
mittel ist, aber kein Hauptnahrungsmittel sein sollte, dass
man auf blosse Kartoffelnahrung hin keine Familie begründen
darf.. Die Seuche wäre zwar vorübergehend ein Unglück, aber
dauernd ein Seegen, wenn diese Ueberzeugung sich allgemein
verbreitete und festsetzte. Weiterhin rechne ich selbst die jetzige
Kreditlosigkeit, welche so viele Familien zum ökonomischen
Ruin bringt, die Arbeitslosigkeit vermehrt und manchen ordent-
lichen Mann ausser Stand setzt, sich aus augenblicklicher Ver-
legenheit zu retten, wenigstens theilweise zu den vorübergehenden
Nothursachen, wie sie andererseits auch eine Folge und ein
Beweis der vorhandenen Noth ist. Denn diese ist zumeist nichts
als ein nothwendiger und in geinen letzten Folgen heilsam wir-