Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

42 Betrachtungen 
sind ohne Unterscheidung der innern Gründe dieser Pflichten 
unter denselben Gesichtspunkt gebracht und man hat versucht, 
ihnen gleichmässig durch erzwungene Almosen abzuhelfen. 
Dies hat eine sehr beklagenswerthe Verwirrung der Begriffe bei 
den Wohlhabenden wie bei den Bedürftigen verursacht. Die 
Wohlhabenden schwanken und sind in ihren Ansichten getheilt. 
Bald tragen sie die schwere Bürde der Armenlast unwillig und 
bestreiten ebensowohl die Weisheit als die Gerechtigkeit der 
Gesetzgebung. Bald klagen sie — Angesichts des Elendes, für 
welches keine Hilfe bereit steht — den Staat wegen der mangel- 
haften Erfüllung seiner Verpflichtungen an. Die Bedürftigen 
gewöhnen sich mehr und mehr, die ihnen gewährte Unterstützung 
als ein ihnen zustehendes Recht anzusehen, weil sie dieselbe 
aus den Händen von Personen und aus den Mitteln von Körper- 
schaften empfangen, welche das Gesetz zu dieser Hilfsleistung 
verpflichtet, und weil sie nicht ohne Grund fühlen, dass 
ihnen in vielen Fällen mindestens theilweise ein Anspruch 
zusteht. Eine sehr erklärliche, wenn auch ganz falsche und 
höchst beklagenswerthe Entwickelung dieses dunkeln Bewusstseins, 
führt sie dahin, das Maass ihrer Rechtsansprüche nach den eigenen 
Begriffen ihrer Bedürfnisse, sowie der Mittel der Wohl- 
habenden, (der Gemeinde oder des Staates) zu beurtheilen, 
welche letztere sie meistens für unbegrenzt halten. Nur zu häufig 
werden sie in ihren irrigen Ansichten durch die Lehren und 
Aeusserungen der Gebildeten und. Wohlhabenden selbst bestärkt. 
Um so nothwendiger ist es, die Berichtigung der Begriffe 
von Recht und Pflicht, sowie die Kräftigung des sittlichen 
Willens als das wahre Ziel jeder Gesetzgebung hier wie überall 
mit Klarheit zu erkennen und mit Festigkeit in Auge zu be- 
halten. 
III. Gesichtspunkte der Reform. 
Die gesetzliche Armenpflege ist, wie wir sahen, überall wo 
man energische Maassregeln zu ihrer Durchführung ergriffen hat, 
zu einer erdrückenden Last für die Gesellschaft geworden und 
verwickelt dieselbe in einen Widerspruch zwischen Anspruch und 
Leistungsfähigkeit. Die grossen Opfer, welche in vielen Orten
	        
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