458 Studien über württembergische Agrarverhältnisse.
dass diese socialen Anschauungen in unserm Volk vielfach eine
beinahe religiöse Kraft haben. Man hört die Leute sagen: Gott
hat uns diese Kinder geschenkt, sie sagen alle gleichmässig zu
uns Vater und Mutter; haben wir nun ein Recht, durch Ueber-
gabe des Gutes an ein Kind, dieses vor den andern günstiger
zu stellen? Es nützt nichts, darauf zu erwidern, dass sie es selbst
in der Hand hätten, die andern Kinder ebenso gut zu versorgen;
durch rechte Sparsamkeit könnten sie so viel erwerben, dass
keines verkürzt werden müsste; dann sei das Interesse der nicht blos
auf eine Generation beschränkten Familie mit der Erhaltung des
Gutes innig verbunden; für diese zu sorgen sei aber nicht we-
niger religiöse Pflicht, als für die Einzelnen ihrer Angehörigen.
Denn die Möglichkeit, dass ein Gutsbesitzer genug erspare, um
kein Kind in der Erbtheilung zu verkürzen, ist an die Bedingung
geknüpft, dass die Zahl der Kinder nicht zu gross ist, und dass
keine ungünstigen Ereignisse, wie Krieg oder eine längere Reihe
von Misserndten, die möglichen Ersparnisse vermindern; und das
Interesse für die Familie im Ganzen im Gegensatz zu einer Ge-
neration ist eben thatsächlich nicht mehr in dem Maasse vor-
handen, dass man ihm zu Liebe augenblickliche Opfer zu bringen
bereit wäre. So ist der Geist der Zeit und die Denkungsweise
des Volks in dem Gebiet der Theilbarkeit im Ganzen gewiss
gegen den Gedanken einer neuen Schliessung des bäuerlichen
Grundbesitzes. Mag man aber auch noch so wenig Respekt vor
dem sogenannten Geist der Zeit haben, weil er erfahrungsmässig
fast immer nur der Geist des Augenblicks und der Oberflächlich-
keit ist, und weder auf tieferem Erfassen der Verhältnisse, noch
auf Beachtung der Zukunft beruht, — es handelt sich bei einem
neuen Gesetz nicht blos um seine Zweckmässigkeit, sondern auch
um die Möglichkeit seiner Durchführung, und es scheint der
Zweifel begründet, ob nicht in unsrem Volke der Vorschlag zu
einer neuen Bindung der Bauerngüter aus guien und anerken-
nungswerihen, ebenso wie aus schlechten Motiven und: Vorur-
theilen einen Widerspruch finden würde, der seine Durchführung
unmöglich machen müsste.
Bei diesem Stand der Dinge scheint es jedenfalls nicht em-
pfehlenswerth, wenn man sich überhaupt zu dem gesetzlichen