Full text: Der neue Kurs.

kurze Übungen der Ersatzreservisten, konnten vorerst nur vorsich— 
tige Andeutungen gemacht werden. 
Gleich bei der Einführung der Vorlage im Reichstage zeigte 
sich der Kanzler-General auf der Höhe seiner Aufgabe. Die zwei— 
stündige Rede vom 23. November 1892 war gut im Aufbau, 
einfach und klar in der Sprache, frisch und warm im Ton, 
reich an Aufschlüssen und Gedanken. 
Sollte wegen der Ungunst der Zeit und der Stimmung im 
Lande die Reform verschoben werden? „Jedes Jahr, das wir 
verlieren, ist unwiederbringlich verloren.“ Sollen wir wegen der 
drückenden Rüstung einen Präventivkrieg führen? Was könnte 
der Siegespreis beispielsweise gegenüber Frankreich sein? „Wir 
würden in Verlegenheit geraten, wenn wir undeutsche Menschen 
dem Deutschen Reiche einverleiben wollten. Der nächste Krieg 
wird länger und schwerer sein als der von 1870/71. Wenn wir 
erschöpft aus einem langen prophylaktischen Kriege nach Hause 
kämen, wären vielleicht andere da, die aus unserer Schwäche Vor— 
teil zögen.“ Folgt der Nachweis aus den Akten, daß die Emser 
Depesche nicht gefälscht war und die Provokation von Frankreich 
ausging, von Frankreich, das auch jetzt wieder auf Krieg sinnt. 
„Unsere westlichen Nachbarn haben das Talent, Dinge geschmack- 
voll einzukleiden, ihr Revanchegedanke hat Ausdruck gefunden in 
dem Bilde der beiden Töchter, die von der Mutter gerissen sind, 
ein sehr hübsches Bild, aber an Revanche würde Frankreich auch 
dann denken, wenn die Töchter der Mutter erhalten geblieben 
wären.“ Die Beziehungen zu Rußland sind doch gut? „Ja, der 
jetzige Kaiser von Rußland ist einer der stärksten Faktoren für 
Erhaltung des Friedens und hat volles Vertrauen zu der loyalen 
Politik, die wir treiben. Aber in den weitesten Kreisen des russi- 
schen Volkes ist eine Verstimmung entstanden, die mit der elemen- 
taren Kraft eines Naturgesetzes wirkt. Die russische Regierung 
hat ihre Grenzen von Kowno an über Grodno längs der Narew und 
Weichsel immer mehr befestigt. Zielbewußt hat sie ihre Kavallerie- 
massen an unsere Grenzen gelegt, um unsere Mobilmachung zu 
stören. Sind auch heute die Beziehungen der beiden Monarchen so 
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