Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Verwaltungsrecht. 219 
keit gewährt werden, ihre Interessen bzw. Rechte geltend zu machen, und gleichzeitig eine sorg- 
fältige causae cognitio gesichert werden. Dem ersteren Zwecke dient oft ein besonderes Aufgebots- 
oder Einspruchsverfahren, in dem die Interessenten unter Androhung der Nichtberücksichtigung 
späterer Einwendungen öffentlich aufgefordert werden, ihre Interessen und Rechte binnen 
bestimmter Frist bei der Verwaltungsbehörde geltend zu machen (GewO. §17; Rayon G 11; 
Pr G. v. 11. 6. 1874 §§ 19, 25; v. 2. 7. 1875 §§ 6, 7). Zu den Behörden, die nach gesetzlicher 
Vorschrift den Untertanen gegenüber stets in bestimmten Formen zu prozedieren haben, ge- 
hören die Verwaltungsgerichte, die sog. Beschlußbehörden (siehe unten) und eine Reihe 
Spezialbehörden, wie das Patentamt, die Seeämter, Strandämter, Disziplinarbehörden. 
Die wichtigsten Gestaltungen des formellen Verfahrens von allgemeiner Bedeutung sind 
das unten § 30 näher besprochene Verwaltungsstreitverfahren, in dem stets die Verwaltungs- 
gerichte zu prozedieren haben, und das Beschlußverfahren. Als solches wird im Anschlusse an die 
Terminologie der preußischen Gesetzgebung (LVG. Abschn. III I§ 115 ff.) eine besondere Art 
formellen Verfahrens bezeichnet, die besonders im preußischen, unvollkommener aber auch z. B. 
im badischen und hessischen Rechte (Bad V. v. 31. S. 1884 8§P 16 ff., Hess G. v. 12. 6. 1874 Art. 48 III, 
55 ff., 98, 103 ff.) ausgebildet und für die Entscheidungen bestimmter Behörden angeordnet 
ist, die diese als Staatsorgane — nicht also, was sie zum Teil auch sind, als Kommunalorgane —, 
und zwar als gewöhnliche Verwaltungsbehörden, nicht als Verwaltungsgerichte, als welche 
sie zum Teil auch fungieren, zu treffen haben. Die hier in Betracht kommenden Behörden, so- 
weit sie in den Formen des Beschlußverfahrens prozedieren, gewöhnlich als „Beschlußbehörden“ 
bezeichnet, sind vorige Seite Abs. 1 a. E. genannt. Ihnen allen ist charakteristisch, daß sie zum Teil 
aus Laien bestehen, und daß sie eine ähnliche unabhängige Stellung haben wie die Verwaltungs- 
gerichte. Und mit diesen Momenten hängt auch zusammen die Gestaltung des Beschlußverfahrens, 
welche vor allem auf Sicherung einer sorgfältigen causae cognitio und einer sachlichen Entscheidung 
gerichtet ist. Das preußische Beschlußverfahren ist in Anlehnung an das Verwaltungsstreit- 
verfahren geordnet, jedoch im allgemeinen einfacher als dieses gestaltet. Grundsätzlich unter- 
scheidet es sich von diesem besonders dadurch, daß es in ihm nicht stets zwei von der entscheidenden 
Behörde getrennte Parteien gibt: die Beschlußbehörde hat nicht nur zwischen streitenden Par- 
teien zu entscheiden, sondern auch Befehle und Verbote von Amts wegen zu erlassen, und Ge- 
nehmigungen auf Ansuchen eines Antragstellers zu erteilen; wie auch dadurch, daß, sofern nicht 
besondere Gesetze etwas anderes vorschreiben (GewO. 8§ 20, 21 i. Verb. m. ZG. §§ 109, 110; 
G. v. 16. 8. 1905 § 3), den Beteiligten kein Anspruch auf mündliche Verhandlung zusteht, die Be- 
schlußbehörde vielmehr stets auf Grund der verhandelten Akten entscheiden kann (anders gerade 
in diesem Punkte das bad. und hess. Recht). v. Stengel, Organisation d. Preuß. Verwaltung, 
s 63; derselbe, Art. „Verwaltungsverfahren“ in seinem Wörterbuch. 
II. Die Staatsbehörden. 
1. Die geschichtliche Entwickelung der deutschen Behördenorganisation. 
Literatur zu den I# 6 und 7: Loening f 8, 9; Meyer-Anschütz § 107. Be- 
sonders für die preußische Entwickelung: Isaacsohn, Gesch. d. preuß. Beamtentums, 
3 Bde. Berlin 1874—84; v. Bassewitz, Die Kurmark Brandenburg, Leipzig 1860; Born- 
hak, Gesch. d. preuß. Verwaltungsrechts, 3 Bde., Berlin 1884—86; derselbe, Preuß. Staats- 
u. Rechts eschchte, Berlin 1903; Stölzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung und 
Rechtsverfassung, 2 Bde., Berlin 1888; Schmollers zahlreiche Aufsätze über Beamtentum 
und Städtewesen, vornehmlich aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. (vgl. besonders die Aufsätze 
in seinem Jahrb. f. Gesetzgeb. 18, 695 ff., i. d. preuß. Jahrb. 26 S. 148 ff., 253 ff., 538 ff., i. d. Ztschr. 
f. preuß. Gesch. 8, 521 ff., 10 S. 274, 537 ff., 11, 513 ff., 12 S. 353 ff., 425 ff.); Acta Borussica, 
Denkmäler d. preuß. taatsverwaltung im 18. Jahrh., die Behördenorganisation, bes. die ein- 
leitenden Darstellungen in 1 (von Schmoller u. Krauske) und 6 (Hintze); Loening, Gerichte u. 
Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen, Verwürch. 2 S. 217, 437 u. 3 S. 94, 510 — für 
die Stein = Hardenbergische Periode: E. v. Meyer, Die Reform der Verwaltungs- 
organisation unter Stein und Hardenberg (2), herausgegeb. von Thimme, Leipzig 1912; 
Cavaignac, La kormation de la Prusse contemporasine, 2 Bde. 1891/98. M. Lehmann, 
Kreiherr vom Stein, 3 Bde., Leipzig 1902/05; E. v. Meyer, Französische Einflüsse auf die 
taats- und Rechtsentwickelung Preußens im XIX. Jahrhundert, 2 Bde., Leipzig 1907/08 (Bd. 2 
ist vor allem einer Polemik gegen die Auffassung Lehmanns von der Beeinflussung Steins durch
	        
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