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mit der Assimilationspolitik brechend, endlich den
Eingeborenen unserer Arbeit eingefügt haben?
Leider ist dieses Verfahren der Gerechtigkeit
und Weisheit nicht allgemein angewendet, oft ist
es selbst da, wo es ausgezeichnete Ergebnisse
hervorgebracht hatte, törichterweise aufgegeben
worden. Wir sind soweit gekommen, zu glauben,
daß die Kolonien nicht für die Ansiedler und Ur-
einwohner, sondern nur für die Beamten geschaffen
seien.
Wie ist die Eingeborenenpolitik anszu-
ühren?
Herr Clementel hat sehr richtig festgestellt,
daß wenn die Genossenschaftspolitik allgemein und
ohne Ausnahme unsere Beziehungen mit den
untergebenen Völkern leiten soll, man die Mittel
nach dem Grade der geistigen Fähigkeit und der
Gesittung der Eingeborenen einrichten müsse.
Gegenüber den urzuständlichen und trägen Rassen
Afrikas kann und darf unsere Eingeborenenpolitik
nur in einer Art „Vormundschaft“ bestehen.
Wir müssen die Erzieher, die Anreger ihrer
geistigen Fähigkeiten sein. Wir müssen in ihnen
den sittlichen Sinn erwecken, sie uns durch die
Milde näher bringen, statt sie uns durch Heftig-
keit zu entfremden — bis zu dem Tage, wo ihre
Mitarbeit an unserem Werke möglich geworden
sein wird.
Gegenüber den verständigen und gesitteten
Rassen Indo-Chinas und Madagaskars müssen
wir die Beschützer sein, die den Arbeiter, den
Angestellten aus Gerechtigkeit und zu seinen
Gunsten als „Teilhaber“ annehmen. Wir müssen
sie, im bildlichen und wahren Sinne des Wortes,
an unseren Mühen und Versuchen in jeder Rich-
tung Anteil nehmen lassen. Unsere Pflicht ist,
ihre Fähigkeiten zu erkennen und zu benutzen,
ihre Betätigungsmittel zu achten und sie allmählich,
ohne Verletzung nach unseren Grundsätzen mit-
arbeiten zu lassen. Vor allem machen wir ihnen
begreiflich, daß ihr Borteil mit dem unseren eng
verknüpft ist. Verwirklichen wir mit allen Mitteln
was der Marschall Niel richtig die „Fusion der
Interessen“ nannte. Und diese Mittel finden
sich kurz ausgedrückt in diesen drei Worten:
Schutz, Erziehung, Teilhaberschaft.
Durch Anweisungen an die Gouverneure un-
serer verschiedenen Besitzungen hat Herr
Clementel die großen Linien des Programms
genau bestimmt. Indem wir über die verschiedenen
Fragen, die darin behandelt sind, unsere persönliche
Meinung ausdrücken, werden wir zugleich berufen
sein, diese sehr wichtigen Schriftstücke, die ein
neues Zeitalter einleiten und, nach einer treffenden
Außerung „das wahre Regierungs= und Ver-
waltungsgesetzbuch unserer Kolonialbeamten“
bilden, anzuführen und kurz wiederzugeben.
Unbedingte Achtung der Eigentümlich-
keit der Eingeborenen. Wir halten es für
nutzlos, uns bei diesem ersten Punkte des Pro-
gramms aufzuhalten, den uns die einfachen
Pflichten der Menschlichkeit auferlegen; es ist
gleichwohl gut, diesen Grundsatz von neuem zu
bekräftigen. Grobe Fehler sind dagegen begangen
worden; jeder von uns hat noch die Erinnerung
an empörende Handlungen, auf die wir nicht
zurückkommen wollen, da sie ja bestraft worden
sind, wie sie es verdienten. Jeder unserer Be-
amten muß sich von der unbedingten Wahrheit
des Satzes überzeugen, daß der Eingeborene
trotz seiner körperlichen und sittlichen Verschieden-
heiten nicht weniger ein Mensch, eine Persönlich-
keit, wenn nicht desselben Grades, wenigstens mit
derselben Berechtiguug wie er selbst ist. Die
Persönlichkeit des Eingeborenen muß also geachtet
und verteidigt werden wie die des Europä“ers.
Zu lange ist der Eingeborene als geistig minder-
wertig betrachtet worden. Das ist gerade der
Grundfehler, der dazu beigetragen hat, den Graben
täglich mehr zu vertiefen, welcher den Ansiedler
vom Eingeborenen trennte. „Die Kolonisation“
(nach dem Worte des Herrn Leugues), „die nicht
den Zweck und das Ergebnis hätte, die Völker,
in die sie dringt, zur Würde und Sittlichkeit zu
erheben, würde ein grobes und rohes, eines
großen Volkes unwürdiges Werk sein.“
Erhaltung und Entwicklung der Rasse.
Das ist ebenfalls eine unserer ersten Pflichten den
Eingeborenen gegenüber. Mit allen Mitteln müssen
wir die beschützten Völker vor der Entartung be-
wahren. Das Übel ist beunruhigend, voll von
Gefahren für die Zukunft; die Zahlennachweise
über die Geburten und die Sterblichkeit der Ein-
geborenen sind in dieser Hinsicht lehrreich. Die
gesundheitlichen Grundsätze, die allein den Nieder-
gang hemmen können, sind noch nicht genügend
verbreitet.
Die meisten Seuchen, die jedes Jahr in
unseren Besitzungen ausbrechen und sich mit einer
so fürchterlichen Schnelligkeit in die benachbarten
Gegenden verbreiten, finden ihren Ausgangspunkt
in der Unkenntnis der Eingeborenen über die
ersten Grundsätze der Gesundheitspflege. Die
Frage des Gesundheitszustandes in den Kolonien
ist übrigens auf dem Kongreß in Marseille auf-
geworfen worden; die vorgebrachten Wünsche
lassen sich kurz zusammenfassen:
Fortschreitende Umgestaltung der Sitten auf
dem Gebiet der Gesundheitslehre durch Unterricht
und Schule, durch Anschlag, durch die Ratschläge
der Arzte des öffentlichen Hilfsdienstes, durch das
Beispiel, durch die Maßnahmen der öffentlichen
Verwaltungen;
Verbot der Verunreinigung der zur Trink-=