Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

486 8 48. Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung. 
erfüllung oder nicht ordentlicher Erfüllung. Jedes dolose oder kulpose 
Verhalten eines Kontrahenten, durch welches er die ordnungsmäßige 
oder vertragsmäßige Leistung vereitelt, begründet für den anderen 
Kontrahenten eine Klage auf das Interesse. 
Bei den Dienstverhältnissen oder Gewaltverhältnissen dagegen tritt 
an die Stelle der Forderung der Befehl, und an die Stelle der Klage 
der Zwang. Die Disziplinargewalt ist das Recht zur Ausübung dieses 
Zwanges. Es bestand im Mittelalter gegen Lehnsmannen und gegen 
Ministerialen ; es bestand bis in die neuere Zeit gegen Leibeigene und 
gegen Dienstboten; es besteht noch jetzt in dem Züchtigungsrecht der 
Eltern und Lehrherren, in dem Recht des Schiftsführers gegen die 
Mannschaft, im Heere und in der Marine'). Hierin liegt auch das 
Wesen der Disziplinargewalt des Staates gegen seine Beamten; es ist 
das Mittel, um die Erfüllung der Dienstpflicht zu erzwingen °). Der 
Staat bedarf hierzu keiner Klage vor den Gerichten, denn er steht 
1) Im Gegensatz zu den Disziplinarvorschriften für Beamte ist die Disziplinar- 
strafordnung für das Heer, bezw. für die Marine, ein wirkliches Militärstraf- 
gesetzbuch, das für die leichteren Fälle die Ergänzung des eigentlichen vom 
20. Juni 1872 bildet. Hier schließt auch die Bestrafung auf Grund des einen Gesetzes 
die Bestrafung auf Grund des andern Gesetzes wegen desselben Tatbestandes aus. 
Die Gründe für diese besondere Gestaltung der militärischen Disziplin sind anschau- 
lich dargelegt worden von Heckera.a.0O. Vgl. Archiv f. öffentl. Recht Bd. I, 
S. 222; vgl. auch v. Bar, Handbuch des Strafrechts I, S. 355. 
2) G. Meyer, Annalen 1876, S. 673, dem Löning a. a. O. beistimmt, meint, 
daß die Disziplinarstrafe kein Mittel sein könne, den Beamten zur Erfüllung seiner 
Pflicht anzuhalten, da sie erst ausgesprochen wird, weil und nachdem der Beamte 
seine Pflicht verletzt habe. Er widerlegt sich aber selbst, indem er bemerkt, daß die 
Androhung einer Strafe ein indirektes Zwangsmittel sei, und er räumt ein, dab 
weder in der Praxis noch in der Gesetzgebung der Unterschied zwischen Zwangs- 
mittel und Strafe scharf hervortrete. Es kann auch in der Tat keinen Unterschied 
machen, ob generell durch Gesetz dem Beamten Disziplinarbestrafung angedroht und 
er dadurch zur Pflichterfüllung angehalten wird, oder ob ihm im einzelnen Falle die 
disziplinarische Ahndung einer konkreten Pflichtverletzung in Aussicht gestellt wird, 
um dieselbe zu verhüten. Otto Mayer a.a.0. will die Idee des Erfüllungszwanges 
als unnötig einfach beiseite lassen. — SeydellIl, S. 272 wendet gegen die Herlei- 
tung des Dienststrafrechts aus der Dienstgewalt ein, daß wenigstens in den schweren 
Fällen nicht der dienstliche Vorgesetzte, sondern ein Disziplinargericht entscheide; 
er folgert daraus, daß die Disziplinargewalt nicht auf die Dienstgewalt des Dienst- 
herrn, sondern nur auf die richterliche Gewalt des Herrschers gestützt werden könne. 
Er macht also von der Art der Behörde, welche in Disziplinarsachen entscheidet, 
einen Rückschluß auf das Wesen der Disziplinargewalt. Gegen den Einwand aber, 
daß in den — die überwiegende Mehrzahl bildenden — leichteren Fällen die Hand- 
habung der Dienstgewalt und des Dienststrafrechts in den Händen des Dienstvor- 
gesetzten vereinigt sind, bemerkt er, daß die Art und Weise, wie der Staat die ver- 
schiedenen öffentlichen Aufgaben an seine Behörden verteilt, nichts an der inneren 
Natur dieser Aufgaben ändere; die Zuteilung der mannigfachen Aufgaben an die Be- 
hörden geschehe nach Rücksichten der Zweckmäßigkeit. Dadurch entzieht er selbst 
dem Grunde, auf welchen er den Widerspruch gegen die hier vorgetragene Ansicht 
stützt, die Kraft; übrigens kommt er auch zu keinen abweichenden Folgerungen von 
seinem Standpunkt aus.
	        
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