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(Nr. 919.) Gesetz, betreffend die dem Reichs-Oberhandelsgerichte gegen Rechtsanwalte und
Advokaten zustehenden Disziplinarbefugnisse. Vom 29. März 1873.
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König
von Preußen 2c.
verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des
Bundesrathes und des Reichstages, was folgt:
K. 1.
Dem Reichs-Oberhandelsgerichte stehen gegen die Rechtsanwalte und Ad-
vokaten, welche in den bei demselben anhängigen Rechtssachen thätig sind rück-
sichtlich dieser Thätigkeit diejenigen Disziplinarbefugnisse zu, welche dem obersten
Gerichtshofe, an dessen Stelle das Reichs= Oberhandelsgericht nach F. 12 des Ge-
setzes vom 12. Juni 1869 (Bundes-Gesetzbl. S. 201), F. 2 des Gesetzes vom
16. April 1871 (Bundes-Gesetzbl. S. 63), K. 5 des Gesetzes vom 22. April 1871
(Bundes-Gesetzbl. S. 87) und F. 1 des Gesetzes vom 14. Juni 1871 (Reichs-
Gesetzbl. S. 315) getreten ist, unter gleichen Umständen zustehen würden.
Die auf Grund dieser Vorschrift auszusprechende Suspension oder Ent-
ziehung der Berechtigung zur Praxis bezieht sich nur auf die Praxis bei dem
eichs-Oberhandelsgerichte. 62
Diejenigen Rechtsanwalte und Advokaten, welche behufs Ausübung der
Praxis bei dem Reichs-Oberhandelsgerichte sich am Sitze dieses Gerichtshofes
niederlassen oder bereits niedergelassen haben, und die ihnen früher zustehende
Berechtigung zur gerichtlichen Praxis in einem der Bundesstaaten oder in Elsaß
und Lothringen aufgegeben oder ganz oder zeitweise verloren haben, unterliegen
in gleicher Weise, als wären sie in ihrer früheren Stellung als Rechtsanwalte
oder Advokaten verblieben, der Disziplin nach Maßgabe der Landesgesetze und
der nachstehenden Vorschriften. 65½„
Das Reichs-Oberhandelsgericht tritt zur Handhabung der Disziplin über
die im §. 2 bezeichneten Rechtsanwalte und Advokaten als Aufsichtsbehörde und
als Disziplinargerticht an die Stelle der nach den Landesgesetzen zuständigen Be-
hörden der öffentlichen Behörden und der aus dem Anwalt- und Advokatenstande
gebildeten Ausschüsse, Ehrenräthe, Disziplinarräthe) mit allen Befugnissen, welche
einer der bestehenden mehreren Instanzen gebühren.
Die nach den Landesgesetzen dem Vorsitzenden einer kollegiialischen Diszi-
plinarbehörde zustehenden Befugnisse gehen auf den Präsidenten des Reichs-
Oberhandelsgerichts über. á4
Das Verfahren in Disziplinarsachen wird durch die Landesgesetze bestimmt.
Ist in dem Disziplinarstraf-Verfahren die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft
erforderlich, so werden deren Verrichtungen gemäß F. 3 des Gesetzes vom 14. Juni