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das Prinzip der formellen Gesetzeskraft „den obersten Grundsatz
des konstitutionellen Staatsrechts.“ Umso merkwürdiger ist es,
daß die Frage bisher wenig untersucht worden ist, in welehem
Zeitpunkt die formelle Gesetzeskraft nach Reichsrecht eintritt.
LABAND® läßt dieselbe mit der Vollendung des Gesetz-
gebungsprozesses, der Publikation, eintreten. Eine eingehendere
Stelle findet sich bei JELLINEK, „Gesetz und Verordnung“ 9. 320
Anm. 9. Derselbe schreibt: „In solchen (nicht monarchischen)
Staaten wird allerdings durch in juristisch wahrnehmbaren Formen
erscheinende Kollegialbeschlüsse die Sanktion erteilt. Hier scheint
demnach durch die Sanktion bereits die formelle Gesetzeskraft im
juristischen Sinne gegeben zu sein. Allein solche Beschlüsse ent-
halten mit logischer Notwendigkeit ein doppeltes. Einmal einen
Entschluß und dann, da diese Kollegien zum Unterschied von den
Parlamenten der Monarchie mit imperium ausgestattet sind, einen
Befehl und zwar den zur Ausfertigung des Gesetzes. Nur das
erste Moment enthält die Sanktion, das zweite bezeichnet bereits
den Anfangspunkt des Prozesses der staatlichen Willenserklärung“.
Diese Stelle versetzt uns sofort mitten in die Diskussion.
Mit dem letzten definitiven Beschluß des Bundesrates ist der Pro-
zeß der staatlichen Willensbildung erschöpft, und es be-
ginnt der Prozeß der staatlichen Willenserklärung. Der
letzte Beschluß des Bundesrates enthält nicht nur die definitive
maßgebende Willenserklärung, die der Bundesrat zum Zustande-
kommen des @esetzes abgibt, sondern er enthält weiter einen Be-
fehl und zwar den Befehl anden Reichskanzler, das Gesetz
dem Kaiser zur Ausfertigung vorzulegen. Dagegen erteilt der
Bundesrat dem Kaiser selbst keinen Befehl, sondern dieser übt
sein Recht und die demselben entsprechende Pflicht der Ausfer-
tigung und Publikation unmittelbar auf Grund der Verfassung aus.
Denn der Kaiser ist keine dem Bundesrat untergeordnete Instanz °.
® Staatsrecht des Deutschen Reichs 1901 II, S. 64.
° Vgl. Häner, Studien zum Deutschen Staastsrecht II, 8. 46.
Archiv des öffentlichen Rechts. XXXI. 213. 17